Texte
aus dem Flyer zur Ausstellung bei Omnilab, Bremen 2024
Siegmund Schneider
In der Regel malt Siegmund Schneider seine farbintensiven Bilder mit Öl auf Leinwand, Nessel oder Karton, aber auch in Mischtechnik mit Pastellkreide oder Farbpigmenten. Seit vielen Jahren entwickelt er kontinuierlich die Formensprache seiner Werke – und bleibt trotz Veränderung oder Abwandlung von Motiven, Komposition und Farbigkeit seiner persönlichen Handschrift treu. Das gibt seinen Bildern einen besonderen, eigenen Charakter, der sie unverwechselbar macht.
Siegmund Schneiders Bilder sind nicht abstrakt – und doch bilden sie keine Realität, keine Wirklichkeit ab. Seine Formen haben in der Regel mit Architektur zu tun, manchmal auch mit Skulptur, etwa bei der Darstellung von fantastischen Figuren, die an afrikanische Totemfiguren, an stilisierte Tiere oder Spielfiguren erinnern. Doch Architektonisches ist fast immer präsent: ganze Gebäude, einzelne Bauteile, wie Tore oder Treppen oder einzelne Elemente wie Säulen oder Röhren. Allerdings geht es kaum um reale Architektur, sondern vielmehr um fiktive Gebilde, die durch die Art und Weise ihrer Darstellung bestechen.
Bezeichnend dafür ist die extreme Untersicht, aus der auf die schematischen Bildmotive geschaut wird. Dadurch bekommt jedes Bild etwas Monumentales, Mächtiges oder gar Bedrohliches, das durch die Farbgebung entweder verstärkt oder abgemildert wird. Dabei spielt die Farbe eine genauso wichtige Rolle wie die Form. Der Maler bringt sie unterschiedlich auf, mal plakativ, mal malerisch strukturiert und gelegentlich organisch anmutend, mal mit starken Kontrasten, ein anderes Mal mit fein verwischten Abstufungen leuchtender Farbnuancen.
Auch wenn es ihm vor allem um grundlegende Themen der Malerei geht – die Wirkung von Form und Farbe – spielen gesellschaftliche und psychologische Überlegungen ebenfalls eine große Rolle im Werk von Siegmund Schneider. So bilden brennende Themen wie Macht, Religion, Gewalt, Krieg und Vertreibung oder der Klimawandel oft den Ausgangspunkt seiner Gestaltung. Sie werden manchmal in Titeln seiner Werke angedeutet, wodurch diese jeweils eine weitere Deutungsebene erhalten.
Katerina Vatsella>
Aus: Nordseezeitung vom 11.9.2024
Aus: Weserkurier/Stadtteilkurier Süd vom 16.6.2022
Aus: Weserkurier/Stadtteilkurier Süd vom 16.6.2022
Von Matthias Holthaus
Ikonische Denkanstöße
Wie Siegmund Schneider mit seiner Ausstellung im Tabakquartier
nach Auswegen aus Krisen sucht
„Ich habe versucht, das ganze Spektrum zu erfassen“, sagt der
Künstler Siegmund Schneider – und seine Bilder zeugen davon: Mit
der Ausstellung „Es gibt einen Ausweg – ikonische Malerei“ zeigt
er im „Kunstraum regional“ im Tabakquartier noch bis zum 30. Juni
seine Gedanken und Interpretationen zur Corona-Pandemie.
Und nicht nur die Pandemie ist Thema: „Es geht auch um den
Umgang mit Krisen“, meint er und sagt zugleich: „Der Titel ist ja
auch ein wenig eine Behauptung. Ich bin der Meinung, dass es immer
einen Ausweg gibt.“ Und das gilt auch für
Verschwörungstheoretiker, die durch die Corona-Krise wieder
Aufwind bekommen haben: Das Bild „Der große Durchblick“ etwa
erinnert an ein Kirchenfenster – es geht also um Religion, um
Glauben – und der Untertitel dieses Werks lautet dann auch
folgerichtig: „Man soll nicht alles glauben, was man denkt!“
Siegmund Schneider widmet das Bild all denen, die meinen, sie
hätten den großen Durchblick, dabei sehen sie doch nur ihren
eigenen Irrsinn.
Religiös scheint es weiterzugehen, das „Grabmal für einen
unbekannten Querulanten“ steht für die Wissenschaftsfeindlichkeit
und die Wirklichkeitsverleugnung einiger Menschen. Doch es gibt
auch optimistische Bilder: „Komm raus aus deinem Loch“ lässt durch
eine viereckige Öffnung im Dach den blauen Himmel erscheinen. „Das
kann auch ein psychisches Loch sein“, erklärt Siegmund Schneider,
„zum Beispiel nach dem ersten Lockdown, da hat man sich ja auch
erst einmal nicht getraut, sich Menschen zu nähern. Doch man muss
sich immer wieder raus trauen, um die Sonne zu sehen.“
Folgerichtig heißt es im Ausstellungskatalog auch: „Trauen wir
uns, unser Loch zu verlassen. Draußen ist der Himmel blau.“ Und es
schließt sich ein Appell an: „Man darf das Leben draußen nicht nur
noch als Gefahr sehen.
Seiner Bildsprache treu geblieben
Ruth E. E. Cordes betreibt den Kunstraum regional und sagt über
die Arbeit Siegmund Schneiders: „Er ist seiner Bildsprache über
die Jahrzehnte immer treu geblieben. Und er ist einer der wenigen
Künstler, die eigene Texte zu ihren Bildern schreiben.“ Zum
Nachdenken wolle er animieren und deshalb betitele er seine Bilder
auch ganz konkret. Das Bild „Es gibt einen Ausweg“, welches der
Ausstellung auch den Titel gibt, erinnert in seiner Struktur
sowohl an einem Tempel in Griechenland als auch an einen
Kinderlaufstall. Inmitten all der Säulen fehlt jedoch eine solche
– ein Ausweg aus der Pandemie? Doch man könne die Aussage des
Bildes auch weiter fassen, schreibt Schneider in seinem Katalog:
Ohne den Glauben an einen Ausweg seien alle Bemühungen sinnlos –
„letztlich können wir nur auf Demokratie, Freiheit, Menschenrechte
und Vernunft vertrauen.“ Ruth E.E. Cordes sagt dann auch
folgerichtig: „Trotz der Dystopie transportiert Siegmund Schneider
auch Humor und Klarheit. Es sind Farben in der Krise und bieten
einen bestimmten Ausweg heraus aus der Krise.“ Malerisch besonders
sei vor allem, dass die erarbeiteten Flächen immer noch Struktur
aufweisen: „Die Flächen sind komplexe Gemälde mit Sogwirkung und
einer enormen Tiefe. Und auch nach vier Wochen noch immer nicht
langweilig.“
Die Arbeit zur Ikone erheben
Und so sieht der Betrachter zunächst auch eine Fläche, die sich
als Haus ohne Türen und Fenster entpuppt, doch „My Home is my
Castle“ ist dann doch viel mehr: „Das habe ich während des ersten
Lockdowns gemalt. Das wollte ich zuerst gar nicht, doch als ich
fertig war, sah ich, dass es passte“, sagt der Künstler. „Es zeigt
ein Haus ohne Fenster und Türen vor einem dunklen Himmel“, besagt
der Katalogtext: „Noch mehr Abschottung geht nicht, diese
Isolation ist vollkommen.“ Und er fragt: „Wie lange lässt sich
solch ein Zustand ertragen?“ Dazu passend auch ein Bild mit dem
Titel „Die Wand“: „Wände halten ab, Wände beschützen“, erklärt
dazu Siegmund Schneider. „Doch weiß man nicht, ob man vor der Wand
steht oder dahinter.“
Mit der Ausstellung „Es gibt einen Ausweg" Ikonische
Malerei“ möchte Siegmund Schneider das Thema der Arbeit zur
Ikone erheben, sagt dazu Ruth E. E. Cordes: „Der Betrachter
nimmt dabei eine demütige Position ein – von unten nach
oben.“ Und in der Tat ist der Blick des Betrachters stets
der Gleiche: „Er schaut immer auf“, erklärt Siegmund
Schneider. „Das mache ich seit 30 Jahren. Die Bildunterkante
ist der Horizont.“ Kunst machen sei ihm wichtig, führt er
weiter aus, „ich möchte etwas rüberbringen und keine
Wanddekoration schaffen. Ich finde es unerträglich, dass
viele Künstler sich aus allem raushalten.“ Folgerichtig ist
auch der Krieg in der Ukraine ein Thema: „Frei sein“ heißt
etwa ein Bild, dass eine Lücke in einer grau-blauen Mauer
zeigt – darüber ein gelber Himmel. Trotz aller Katastrophen,
so der Katalogtext: „Dieses Bild soll trotzdem die Sehnsucht
nach dem Freisein vermitteln.“
Der Kunstraum regional hat keinen festen Ort und befindet
sich derzeit Am Tabakquartier 60-62. Gefördert von Justus
Grosse, dem Kultursenator und der Sparkasse Bremen ist der
Raum lediglich für die Ausstellung von Siegmund Schneider
geöffnet. Noch bis Donnerstag, 30. Juni, ist die Ausstellung
an jedem Dienstag und Freitag von 17 bis 20 Uhr geöffnet. Am
Dienstag, 21. Juni, ist der Kunstraum regional von 11 bis 20
Uhr geöffnet, um allen Werktätigen die Möglichkeit zu
bieten, die Ausstellung besuchen zu können.
Werkschau: Siegmund Schneider
Delmenhorster Kurier vom 27.07.2018
Spiel mit architektonischen Formen
von Esther Nöggerath 27.07.2018
Der Delmenhorster Künstler Siegmund Schneider arbeitet in
seiner farbgewaltigen Malerei vorwiegend mit
architektonischen Formen. Dabei greift er oft Themen wie
Macht oder Machtgefüge auf.
Diese eine Arbeit, die nie so richtig will, kennt wohl
jeder Künstler. Ein Bild, das nie so wird, wie man es sich
vorstellt und das man immer und immer wieder zur Seite legt,
wieder hervorholt, noch einmal dran geht, nur um dann wieder
nicht zufrieden zu sein. Über Jahre kann sich so ein Prozess
hinziehen, bei Siegmund Schneider sind es sogar rund 30
Jahre. "Das letzte Mal habe ich das Bild total zerstört, mit
einem Messer und mit Lösungsmitteln bearbeitet und danach
komplett neu aufgebaut", erzählt Schneider. Ein Titel hat
das Gemälde nicht, aber nach der letzten Überarbeitung wirkt
er doch ganz zufrieden damit. Und das kann er auch. Denn es
wirkt gerade durch die über Jahre hinweg fortgeführte
Bearbeitung. Das Gebäude, das darauf abgebildet ist, bekommt
durch die teils brachiale Frischekur einen Look, der perfekt
passt. Man sieht förmlich den Rost des Materials, die von
Witterung und Zeit in Mitleidenschaft gezogene Fassade, die
von Furchen übersäte äußere Schale. Und dennoch wirkt das
Gebäude unzerstörbar, monumental. Wie ein riesiges
Industriedenkmal, in Szene gesetzt durch den knalligen
Hintergrund, der das Gebäude geradezu leuchten lässt. 1989
hat der Delmenhorster Künstler das Bild gemalt, auch wenn es
da noch ganz anders aussah.
Schon damals hatte Schneider eine Vorliebe für Architektur,
die immer und immer wieder in seinen Werken vorkommt.
Angefangen von der Abbildung der großen Werke der Moderne,
wie dem Pavillon von Mies van der Rohe auf der
Weltausstellung 1929 in Barcelona. "Ich kannte damals nur
ein Schwarz-Weiß-Foto von dem Pavillon", erzählt Schneider.
Deswegen malte er die Wände in Braun, auch wenn er später
erfuhr, dass sie eigentlich grünlich waren. Damals arbeitete
er auch noch ein ganzes Stück naturalistischer, arbeitete
Pflanzen und Bäume im Hintergrund und die Wasseroberfläche
im Pool aus. "Da bin ich sehr schnell von abgekommen", sagt
Schneider, der in Delmenhorst geboren und aufgewachsen ist.
Er abstrahierte die Architektur, schuf seine eigenen
Gebäude, die so in der Realität gar nicht existieren und
experimentierte mit Formen und Farben.
Die Farben spielen generell eine wichtige Rolle in seinen
Werken. Schneider arbeitet gern mit Kontrasten und
Komplementärfarben. "Orange und Hellblau sind meine
Lieblingsfarben", sagt er. Manchmal muss er sich schon
zusammenreißen, um nicht wieder darauf zurückzugreifen,
sondern auch mal andere Töne auszuprobieren. Manchmal denkt
er sich auch die Farbe aus, bevor das Bild dazu entsteht.
In seinen jüngeren Arbeiten merkt man außerdem eine
Weiterentwicklung des Architektonischen. Die Architektur
bekommt da plötzlich lebendige Züge, wird figürlicher wie in
dem Werk "Irgendein Gott" oder bei "Es lebt", bei dem ja
auch schon der Titel suggeriert, dass es sich nicht um eine
rein statische Figur handelt. Es zeigt ein abgebrochenes
Hakenkreuz mit Stierhörnern, das den Nationalsozialismus als
Minotauros darstellt, als Menschen fressendes und Häuser
zerstörendes Wesen. Macht und Machtverhältnisse
beschäftigten Schneider in vielen seinen Werken. In "Die
Wut" stehen sich zwei Kontrahenten unmittelbar nah
gegenüber, die kubische Form steht im Kontrast zu der fast
schon organisch anmutenden Oberflächenstruktur, die wie eine
Haut von Adern durchlaufen ist. Die Wut, die gerade in ihnen
hochkocht, vielleicht. Was wohl passiert, wenn sie ganz oben
angekommen ist? Ihre Wut ausleben können sie nicht, sind sie
doch gefangen in ihrer statischen Form.
Bevor Siegmund Schneider sich an solch ein Gemälde macht,
zeichnet er. Skizzen über Skizzen probiert er mit Formen
herum, schaut, was funktioniert und was nicht. So lange, bis
er etwas findet, wo er sagt "Das ist ein Bild". Dann erst
greift er zum Pinsel. Die Skizzen sammelt er in mehreren
Büchern, jedenfalls heute. Früher hat er lose Blätter auch
einfach mal weggeschmissen. Damals konnte er auch mit
Linoldruck noch nichts anfangen. "Mir war das zu indirekt",
erklärt Schneider. Das hat sich inzwischen auch geändert.
"Mittlerweile mache ich das doch ganz gerne, weil man damit
so viele verschiedene Variationen machen kann. Man kann gut
damit experimentieren."
Das Künstlerische, sagt Schneider, liegt bei ihm in der
Familie. Sein Vater war Malermeister, die Schwester
Kunstlehrerin, die andere macht Comics. Trotzdem entschied
sich Siegmund Schneider nach seinem Hauptschulabschluss
dazu, zunächst eine Ausbildung als Fernmeldetechniker zu
machen. "Es wohnten schon immer zwei Seelen in meiner
Brust", sagt Schneider. Die künstlerische und die
technikbegeisterte. Irgendwann wurde er dann Beamter auf
Lebenszeit. "Ich wollte das aber nicht auf Lebenszeit
machen." Deswegen die Kehrtwende, weg von der Technik, hin
zur Kunst. Über den zweiten Bildungsweg kam er an
die Hochschule für Künste in Bremen, wo er bei
Professor Jürgen Waller lernte. Auch wenn es schwierig ist,
sich als freischaffender Künstler durchzuschlagen, entschied
sich Schneider für diesen Weg, jobbte nebenbei in
verschiedenen Stellen, um sich über Wasser zu halten. "Ich
wusste einfach, dass ich das machen wollte", sagt er. Und
dabei ist er bis heute geblieben.
Mächtige Formen
„Mein Kunst-Stück“ mit Siegmund
Schneider und seinem Bild „Ministerium“
Syker Kreiszeitung vom 22.12.2017
Von Ilka Langkowski
BREMEN „Ministerium“ heißt Siegmund Schneiders
Bild, das er in unserer Serie „Mein Kunst-Stück“ vorstellt.
Im Großformat zeigt es ein architektonisches Bauwerk. Seine
übergroßen Säulen und Stufen wirken imposant, faszinierend
und etwas bedrohlich. Mit Öl auf Leinwand schuf der Bremer
Künstler Siegmund Schneider sein farbstarkes Bild
„Ministerium“. „Es sieht aus wie ein Kraftwerk oder ein
sowjetisches Ministerium, so monumental“, sagt Schneider.
Architektur sei ein Ausdruck von Machtästhetik. Dieses Bild
ist exemplarisch für eine Reihe von großformatigen Werken,
in denen Schneider architektonische und technische Formen
als gewaltige Konstrukte in Szene setzt. Reduziert zu Form
und Farbe, erscheinen sie monumental. Den Bremer Künstler
fasziniert die Verbindung von Macht und Ästhetik sowie
Schönheit und Abschreckung. Die symbolisierte Macht und
Gewalt betont der Künstler durch den herabgesenkten
Horizont, der den Betrachter in die Froschperspektive
versetzt. Schneider unterstreicht die Kälte dieser
Architektur durch sehr fein gemalte Flächen, exakte Geraden
und Kurven. Die unbelebte Szenerie erscheint im Mittagslicht
mit scharfen Schatten. In „Ministerium“ verwendete der Maler
ein leuchtendes Orange, durchzogen von feinsten Strukturen,
violetten Schatten und vor blaugrünem Grund. In anderen
Bildern setzt Schneider Objekte in warmen Ockertönen vor
grelles Zitronengelb oder ein bedrohliches Monument in Rosa
vor babyblauen Hintergrund.
Seit Schneider mit etwa zehn Jahren ein
Lexikon der Architektur in die Hand bekam, ist sie sein
Steckenpferd. Ludwig Mies van der Rohe, Architekt der
Moderne, hatte ihn gleich gefesselt. Mit der Malerei hat
Schneider einen Weg gefunden, Architektur und Skulptur zu
verbinden. „Und das deutlich kostengünstiger und mit weniger
Aufwand“, sagt er lachend.
Obwohl Schneider aus einer Malerfamilie kommt
und gezeichnet hat, „seit er einen Bleistift halten konnte“,
wurde er Fernmeldetechniker. Der Weg zur Fachhochschule für
Gestaltung führte über eine Nichtabiturientenprüfung. Heute
arbeitet der Künstler auf Teilzeit und geht drei weitere
volle Tage ins Atelier. „Ich betrachte es als meinen Beruf
und arbeite kontinuierlich.“ Die größte Herausforderung an
der Kunst ist für den Bremer das Marketing und der Verkauf
der Bilder. „Am liebsten möchte ich nur vor meiner Leinwand
sitzen und mit dem Rest nichts zu tun haben“, sagt er.
Trotzdem gehöre das Marketing dazu. Ebenso wie der Umstand,
dass man sein eigener Richter oder auch Henker sei. Dann
müsse man einsehen, dass man gescheitert ist, 90-prozentige
Bilder gebe es schließlich nicht. „Entweder es passt oder es
muss weg.“ Ob wir Kunst brauchen? „Wenn man kein Leben
führen will, das rein materialistisch ist, ja. Ich brauche
Kunst, wie andere Religion brauchen. Als etwas, das über das
Alltägliche hinausgeht. Es ist die Suche nach Erkenntnis.
Gesellschaftlich brauchen wir Kunst unbedingt, weil man
durch sie über sich selbst nachdenken kann.“
Zu den Künstlern, die für Schneider besonders
bedeutend sind, zählen Gerhard Richter und der
Renaissancemaler Matthias Grünewald (15./16. Jahrhundert).
Richter hat für Schneider eine besondere Art, mit Farbe
umzugehen. „In seinen abstrakten Bildern ist er genial. Ich
habe viel von ihm gelernt.“ Und Grünewald hat für Schneider
mit seinem Isenheimer Altar das stärkste erreicht, was ein
Künstler erreichen kann. Sein prachtvoller, aufklappbarer
Wandelaltar zeigte Bilder für die todkranken Patienten des
Hospitals und Hospiz eines Klosters. Wenn Schneider jemandem
ein Bild als Botschaft schicken sollte, dann ginge sein
rosafarbener „Minotaurus“ an den Bundestag: „Als Mahnung vor
der Wiederauferstehung des Rechtsradikalismus, während die
ganze Welt durchdreht.“
Ausstellung in der Galerie Cornelius Hertz, Bremen1992
Einladungskarte zur Ausstellung in der
Galerie Cornelius Hertz, 1992
Autor: Rainer Weisel,
|
Galerie Cormnelius Hertz, im Gespräch
mit H. Antpöhler
|
Nein, diese Ausstellung wird nicht von Sony gesponsort.
Einige flüchtige Blicke auf die Arbeiten des Delmenhorster
Künstlers Siegmund Schneiders erwecken gegebenenfalls den
Eindruck, die hier entstandenen Architekturformen seien ein
Gegenentwurf zu Sir Norman Fosters vorliegender Planung im
Auftrag der Daimler-Benz AG für die zukünftige Gestaltung
„Deutschlands neuer Mitte“. Dem ist nicht so. Wenn Siegmund
Schneider die Architektur zum fast ausschließlichen Motiv
seiner Malerei erhebt, geschieht dies nicht zum Zwecke
ideologischer Verwertbarkeit oder gar zur Statuisierung von
Macht. Den strengen geometrischen Formen gehen eine Vielzahl
von Skizzen voraus. In ihnen befragt der Künstler die
Gegenstände nach ihrem Sein. Er begibt sich damit in die
schwierige Auseinadersetzung des Verhältnisses von Objekt zu
Subjekt. Denn ein Gegenstand, ein Objekt, steht nicht für
sich selbst, sondern gegen etwas anderes. Die
Konstruktionen, die dabei entstehen, weisen den Weg der
Entmaterialisierung. Die Architektur ist undeutbar geworden,
vom Menschen abgelöst, ihm entfremdet, verdinglicht. Sie
steht nicht für Realität, sondern für Relation. Wenn wir uns
in dieser Relation überhaupt noch wiederfinden, ist unser
Platz bescheiden. Der Zugang zu den Bauwerken bleibt uns
verschlossen. Sie sind hermetisch. Die Orientierung fällt
uns schwer. In ihrer Monumentalität können sie uns
erdrücken, aber eventuell auch ihren eigenen Fall
herbeiführen. Die Basis, auf der sie gründen, ist in den
jüngeren Arbeiten sehr schmal geworden. Und sie benötigen
dann zusätzliche Träger, die den Eindruck der Fragilität
noch unterstreichen. Es ist sicherlich nicht
überinterpretiert, hier vom augenblicklichen Festhalten
eines Schwebezustandes zu sprechen, der sich im nächsten
Moment verändern kann und wird. Die fliegenden Bauten, die
Siegmund Schneider von der Seite heraus in den Bildraum
entwickelt, verdeutlichen dabei eine konsequente
Radikalisierung in seinem Schaffen. Das wir uns bei allen
Unwägbarkeiten in diese Bilder hineinbegeben werden, geht
von der intuitiven Wirkung aus, die die Wahl und die Art des
Auftrags der Farbe in uns erzeugen. Hier spüren wir die
Emotionalität, die den Maler in der Lust auf Farbe getrieben
und inspiriert hat. Wenn Siegmund Schneider sich dabei nach
eigener Aussage zwischen Meditation und Ekstase bewegt hat
zum Beispiel der Kaffesatz keine Chance, gelesen zu werden,
– er wird als Bildträger verwendet. Oder eine Holzlatte, auf
die rote Farbe aus der Tube gedrückt wird, ersetzt den
Pinsel und schafft beim Abziehen auf einer gelb eingetönten
Leinwand Zufallsstrukturen. Oder es entstehen leuchtende
Farbflächen, die kontrastieren und dialogisieren. In der
Gesamtheit spannt sich somit ein vielschichtiges
Beziehungsgeflecht, dessen Anfang und auch Ende völlig offen
ist. Wir sollten nicht darüber bestürzt sein, daß beim
Besuch dieser Ausstellung das Vertraute stürzen kann.
Aus: Weserkurier 1992, zur Austellung in der
Galerie Cornelius Hertz
Autor: Detlef Wolff
Architektur als Malerei
Der 1953 geborene Maler Siegmund Schneider kennt momentan
nur ein Hauptthema: die Architektur. Allerdings entnimmt der
Waller-Schüler seine Motive nicht der vollen Realität
bereits vorhandener Baukomplexe. Vielmehr entwirft er
Architektur als Utopie und vage Möglichkeit. Und auch das
nur bedingt. Er macht auf seinen Leinwänden zum Beispiel
keine Vorschläge für die Gestaltung urbaner Umwelt. Das
Resultat wären kühle und wenig menschenfreundliche Städte.
Indem sich vor Schneiders Bildern diese Vision einstellt,
erweist sich doch ihr indirekter Bezug zur Realität. Auf den
Leinwänden werden sonst überwiegend Einzelelemente von
Architektur freigesetzt und zum Anlaß für Malerei genommen.
Davon kann man sich bis zum 6. März in der Galerie Cornelius
Hertz (Richard-Wagner-Straße 22) überzeugen.
Details sind es, die den Künstler primär interessieren. Kühn
läßt er Bögen in den Raum hineinstoßen oder Träger
aufeinandertreffen, ohne dabei Probleme der Statik zu
berücksichtigen. Wuchtige Quader können auf dünnem Gestänge
ruhen. Wichtig ist dabei zunächst nur die Geometrie der
Formen. Ihr Verhältnis zueinander steht als
Kompositionsaufgabe zur Lösung an. Daraus resultiert auf der
folgenden Entstehungsstufe die Untersuchung von Proportionen
zwischen Masse und Fläche. Auf den Leinwänden entstehen
dabei im Extremfall Architekturlandschaften mit
Modellcharakter. Eine Funktion wird ihnen nicht zugewiesen.
Unter den Prämissen seines Schaffens ist dieser Aspekt auch
unerheblich. Denn letztlich geht es hier um Farbe: Bis zu
ihrem Eintritt in die Ensembles könnten derart konzipierte
Werke noch als Reißbrettzeichnungen existieren. Aber indem
die monumentalen Komplexe nun als Farbkomplexe in
Erscheinung treten, kommt es zu dramatischen Veränderungen
ihrer Erscheinungsweise. Vor wechselnden Hintergründen
können ähnlich angelegte Bilder höchst unterschiedlich
wirken. Und hier macht der Begriff Farbtemperatur einen
Sinn. Eindringlich wird vorgeführt, wie Farbe kühle oder
warme Stimmungen erzeugen kann, Gewichte verändert, geradezu
Einladungen ausspricht oder abweisende Atmosphäre erzeugt.
Wobei Malen hier wiederum nicht anstreichen meint. Schneider
arbeitet die Flächen sorgfältig durch. Legt Schichten
übereinander, wechselt immer wieder den Pinselduktus,
schafft auf engem Raum Durchbrüche, aus denen Schwingungen
oder Vibrationen resultieren. Und es ist dann solche
Sorgfalt im Detail, der diese Malerei in der gegenwärtigen
Kunstsituation ihre Besonderheit verdankt.
Ausstellung im Haus Coburg, Delmenhorst, 1992
Aus: „Punkt“, Heft 20, September 1992
Autorin: Barbara Alms
Siegmund Schneiders Malerei hat seit Jahren nur ein Thema:
die Architektur.
Großformatige leuchtende Gemälde inszenieren
Architekturteile, die man schon einmal gesehen zu haben
meint – trotz der Unwirklichkeit der Farbkontraste und der
Bodenlosigkeit der Konstruktionen, die eher statische
Unmöglichkeit darzustellen scheinen. In den frühen
Architekturbildern schimmert durch, was den 1953 geborenen
Künstler schon früh beschäftigte: die realen Beispiele der
Architekturgeschichte, insbesondere der 20er und 30er Jahre.
Inzwischen hat er so abstrahiert, daß sich auf der Leinwand
die Farbwirkungen verselbstständigen und ihr
emotionsgeladenes Spiel treiben. Klare Formen und Flächen
rücken in eine spannungsreiche Stellung zueinander. Nicht
ohne theatralisches Pathos stellt er die Frage nach Raum,
Farbe Architektur und Macht gleichzeitig.
Eröffnungsrede zur Eröffnung der
Ausstellung im Haus Coburg
Autorin: Barbara Alms
Mit dieser Doppelausstellung leistet die Städtische Galerie
Delmenhorst einen Beitrag zur zeitgenössischen Diskussion um
die Moderne. Im Mittelpunkt steht eine Malerei, die – so
will es auf den ersten Blick scheinen – die Architekturideen
des 20.Jahrhunderts im imaginären Raum der Kunst zu einer
faszinierenden, von Schönheit und Schrecken bestimmten
Gestalt treibt. Die Doppelausstellung folgt mit den Bildern
der jungen Kunst und geht der Frage nach: Wo stehen wir am
Ende des 20. Jahrhunderts, welche ästhetischen und
geschichtlichen Lehren können wir ziehen, haben wir den
Utopievorrat verbraucht, wie es allerorten heißt, hat die
Moderne ihre humanen Ansprüche in den gesellschaftlichen
Umwälzungen verloren, welche Bilder eröffnet uns die junge
Kunst? Nicht umsonst entstehen diese Fragen im Spannungsfeld
von Kunst und Architektur: der Kunst, die radikal und
irritierend Fragen aufwirft, der Architektur, die in einem
widersprüchlichen Feld unterschiedlicher Ansprüche steht, in
dem sich auch politische und Machtinteressen sichtbar und
repräsentativ äußern. Der öffentliche Raum, der Ort der
Architektur, ist immer auch ein geistiger und politischer
Raum. Hitlers Formulierung für die von ihm gewünschte
monumentale Architektur: „Worte aus Stein“ spricht eine
beredte Sprache. Doch die Machtarchitektur des
faschistischen Deutschland mit ihrem neoklassizistischen
Vokabular ist nur eine extreme Zuspitzung der Architektur
als politischem Instrument. Den Zusammenhang zwischen der
Politik und der Architektur des 20.Jahrhunderts stellen wir
zur Diskussion. Es geht bei dieser Doppelausstellung zentral
darum: die „Gesichter der Moderne“ – so hat auch Hartmut
Frank seinen Vortrag angekündigt – also: die mannigfaltigen
Gesichter der Moderne für einen genauen Blick jenseits
vorschneller Etikettierungen, jenseits einer euphorischen
Heroisierung und jenseits der modischen Verdammung, zu
präsentieren. Stecken Sie die Architektur der Moderne also
nicht vorschnell in die Schublade der rechteckigen Kisten
und der seelenlosen Vorstädte, die übrigens vor allem in den
50er Jahren gebaut wurden und zwar da, wo man sich
ästhetische Entscheidungen glaubte sparen zu können. Schauen
Sie hin auf die Vieldeutigkeit der Formen und prüfen Sie den
Willen zu Funktionalität und Schönheit, fragen Sie nach
Mannigfaltigkeit oder erzwungener Einfachheit, nach
Lebendigkeit oder Ödnis. „Architektur ist das kunstvolle,
korrekte und großartige Spiel der unter dem Licht
versammelten Volumen“. So heißt es in der berühmten
„Mahnung“, die Le Corbusier an die „Herren Architekten“
richtete, und so können Sie es oben im Aufgang zum 2.
Stockwerk lesen. Mit dem Pathos des Aufbruchs der Moderne
erläutert er den universalen und den Kunstanspruch dieser
Architektur; er schreibt: „Unsere Augen sind geschaffen, die
Formen unter dem Licht zu sehen: Lichter und Schatten
enthüllen die Formen; die Würfel, Kegel, Kugeln, Zylinder
oder Pyramiden sind die großen primären Formen, die das
Licht klar offenbart; ihr Bild erscheint uns rein und
greifbar, eindeutig. Deshalb sind sie schöne Formen, die
allerschönsten. Darüber ist sich jeder einig, das Kind, der
Wilde und der Metaphysiker“. Soweit Le Corbusier.
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im Atelier, 1992
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Sind sich wirklich alle einig – so fragen wir uns heute in
der Moderne -Diskussion – , worin können wir uns einig sein?
Ist der Künstler einig mit jener geometrischen Welt der 20er
Jahre, den Aufbruchjahren der Moderne? Im ersten Augenblick
sagen wir vielleicht ja, wenn wir hier um uns schauen und
die Bilder Siegmund Schneiders in klaren und eindeutigen
Formen und Farben zu sprechen scheinen. Ja, scheint es nicht
ganz einfach? Sprechen die Bilder nicht von Würfel, Kegel
und Zylinder, grundlegenden Formen, die, wie Le Corbusier
sagt, „das Licht klar offenbart“? Liegen sie nicht im
gleißenden Licht einer höheren, künstlichen Sonne, der Sonne
der Vernunft? Wiederholen sie nicht den soliden Glauben an
Konstruktion und Geometrie und die aus ihnen erwachsene
Schönheit? Hier spätestens werden wir irritiert stocken.
Siegmund Schneider hat sich, seit er 13 ist, wie er sagt,
mit der Architekturgeschichte der 20er und 30er Jahre
beschäftigt, mit den verschiedenen Gesichtern der Moderne,
aber auch mit der Machtsprache der nationalen Überhöhungen,
wie sie vor allem im faschistischen Deutschland und in
Italien entwickelt wurden. Eine weitere Rolle spielen die
sogenannten funktionalen Bauten der 50er und 60er Jahre in
ihrer unterschiedlichen Ausprägung in Ost und West. Dies
alles ist schon zu Abziehbilder in unserem Kopf geworden.
Siegmund Schneider läßt sich entsprechend auch von Spielzeug
und Bauklötzern anregen. Es ist eine künstliche Bilderwelt,
die seine Gemälde eröffnen, obsessiv vorgetragen, eine enge
Motivik, ohne die Möglichkeit des Ausweichens. Gigantisch
überhöhte Architekturteile ragen in einen synthetisch
erleuchteten Himmel, bodenlos, von instabiler Konstruktion.
Hier gibt es keine Menschen. Hier gibt es keinen Schmuck,
keine Öffnungen im Stein, keine Türen und Fenster. Während
Sie im Raum mit den frühen Arbeiten noch stark zeichnerische
Darstellungen sehen, Fundamente und Sockel, die noch die
Vorstellung eines fest gegründeten Baus nahelegen, die
Darstellung dem architektonischen Denken noch sehr nahe ist,
entbehren die Architekturfragmente der letzten Jahre dieser
Grundlegung. Sie verlieren selbst die Fiktion eines Ganzen.
Sie sind Fragment. Sie sind ohne Zusammenhang und
Rechtfertigung. Sie entbehren der konstruktiven Logik und
der Rationalität der perspektivischen Zeichnung. Was die
Farbigkeit angeht, so ist die Tendenz zu beobachten, reine
Farben zum Leuchten zu bringen. Ihre Wirkkraft wird durch
die scharfen Kontraste ins kaum Erträgliche gesteigert. Der
mehrfache Farbauftrag gibt den Farbflächen Tiefe bis hin zu
einem welträumlichen Vibrieren. Trotz der Einfachheit der
Formen und Flächen also: von Ruhe keine Spur. Im Gegenteil:
von den Bildern geht eine große Beunruhigung aus. Denn bei
genauem Hinsehen wird deutlich: Was als Raum, als
Dreidimensionalität angelegt schien, schlägt bestürzend in
Fläche um, d.h. der Raum vernichtet sich in die Fläche. Es
ist ein hochbrisantes, bedrückend kalkuliertes Spiel
zwischen Konstruktion und ihrer Zerstörung. Die Architektur
in ihrer malerischen Schönheit hat alle Zeichen des
Schreckens an sich. Die gesteigerte Form verselbstständigt
sich, wächst babylonisch in den Himmel, hat Rationalität und
Humanität verloren. Schwarz ist die radikalste Farbe. Seit
dem schwarzen Quadrat von Malewitsch durchzieht das Schwarz
das 20.Jahrhundert, als Meditationsfarbe und als Farbe der
Zerstörung und des Nichts. Das Schwarz ist Ausdruck der
äußersten Abwendung von der Zerstreuung durch die bunten
Reize der Welt. In Siegmund Schneiders schwarzen
Übermalungen wird ein vernichtendes Resümee gezogen. Ich
habe eben von Realität und Humanität gesprochen. Das waren
nun allerdings die Ansprüche, mit denen die Architektur der
Moderne angetreten war. Davon ist in den Bildern Siegmund
Schneiders nichts mehr zu spüren. Weit mehr, wenn auch nur
noch bruchstückhaft und wie zerbrochen, aber um so
aberwitziger triumphierend, erinnern die Architekturteile an
die Repräsentationsbauten und Dekorationen der
Aufmarschplätze des Faschismus. Sie erinnern weiterhin an
die futuristische Architekturentwürfe eines SàntElias, seine
pathetisch vorgetragenen Bilder der Città Nova und des
„italienischen Stolzes“. Und es meldet sich in ihnen der
grundlegende Zweifel an der Moderne, die in den reinen
Formalismus entglitten war, die Achse und die Symmetrie zum
Totschlaginstrument gemacht und die geometrischen Formen,
ohne hinzuschauen, für gut erklärt hat. Wo sie zum
ästhetischen Spiel nicht mehr fähig waren, begegnen sich die
feindlichen Geschwister. Wie der namhafteste
Architekturmaler des 20.Jahrhunderts, Giorgio deChirico, –
und mit diesem Hinweis möchte ich schließen – wie deChirico
aktualisiert Schneider „eine unsinnige und gefährliche
Schönheit“ (deChirico). Aber während de die Symbole der
Entleerung noch auf seine steinernen und einsamen Plätze
verortete, ist für Siegmund Schneider aller Zusammenhang
unterbrochen. DeChirico konnte noch von einer
„metaphysischen Kunst“ sprechen, er konnte also noch
universale Entwürfe für sich in Anspruch nehmen. Siegmund
Schneider wiederholt obsessiv Bildfragmente einer nur noch
künstlichen Welt, die, monumental geworden, alle
Mannigfaltigkeit und Lebendigkeit, alle Humanität und den
Bezug zum Universalen verloren hat. Kunst ist nicht, wie das
in der „Erlebnisgesellschaft“ manchmal erscheint, der Ort
des widerstandslosen Genusses oder der Bilder von einer
heilen, humanen und sozialen Welt. Wir müssen uns auf einen
Weg ins Unerklärliche machen, und wir können das Rätselhafte
und Irritierende nur umschreiben, das die grundlegende
Qualität der Kunst ist.
Aus: Weserkurier, 1992, zur Ausstellung im
Haus Coburg
Autor: Nils Aschenbeck
Die Schrecken, die in der modernen Architektur überall
lauern, will der Künstler Siegmund Schneider offenlegen.
Seine großformatigen Arbeiten werden im Haus Coburg parallel
zu den Fotografien gezeigt.
Der 1953 in Delmenhorst geborene Schneider hat sich in den
letzten Jahren vor allem mit der monumentalen Darstellung
von Architekturelementen beschäftigt. Seine Bilder erinnern
an faschistische Großbauten oder an futuristische Entwürfe.
Doch seine Konstruktionen besitzen keine Logik. An keiner
Straße der Welt sind die Teile, die von einer künstlichen
Sonne beschieden werden, zu Hause; und doch – sie sind uns
wohlbekannt, sie erzeugen in jeder deutschen Vorstadt ein
bestürzendes Déjà-vu.
Die Elemente der Moderne werden von Schneider isoliert, ihre
brutale Kraft wird bloßgelegt. Alle Baudetails, die auf das
Leben verweisen – Fenster, Schmuckelemente oder Briefkästen
– läßt der Künstler beiseite. Für ihn sind Bauwerke
gesichtslose Ungetüme, deren Wirkung den Betrachter in den
Bann zieht und gleichzeitig abstößt. Er kann sich auf Le
Corbusier berufen, der bereits 1923 schrieb: “Architektur
ist das kunstvolle, korrekte und großartige Spiel der unter
dem Licht versammelten Volumen”. Eine Aussage, die wie ein
Leitspruch über dem Treppenaufgang der Galerie prangt.
Siegmund Schneider ist ein Schüler der Moderne. Doch die
ästhetischen Dogmen eines Le Corbusier führt er auf ihren
zynischen Kern, bereinigt von allen Utopien. Dazu benutzt er
grelle Farben, die unvermittelt aufeinandertreffen. Er
überspitzt Perspektiven und verzichtet auf Horizonte. Auch
die Dreidimensionalität der Elemente fällt zurück in eine
monotone Flächigkeit. Seine Arbeiten reduzieren die moderne
Architektur auf eine interne Logik: Hinter der Schönheit
lauert der Schrecken. Hinter dem eleganten Kubus lauert die
zeit- und ortlose Profanität der ewig gleichen Fläche.
Aus: Delmenhorster Kreisblatt, 1992, zur
Ausstellung im Haus Coburg
Autor: Karl-Heinz Montag, Delmenhorst.
Variationsprinzip des Legosteins
Schneiders Fließbandproduktion und eine klug gewählte
Fotoschau
Immer, wenn Galeristin Barbara Alms zur großen Predigt über
die Moderne ansetzt, ist bei Skeptikern Vorsicht geboten, in
wieweit das, was in der Städtischen Galerie als gewollt
provokante, zeitkritische Reibung ausgehängt wird, auch
wirklich mehr bietet als einen schnell konsumierbaren
Side-step in die Avantgarde. Dabei werden oft Teilansichten
aufgefächert, die deutlich machen, das diese moderne Malerei
tatsächlich längst ihren „Utopievorrat** (Alms) verbraucht
hat und am Ende ihres Weges in die flächige, fließbandmäßig
produzierte Langeweile angelangt zu sein scheint.
Die aktuelle Doppelausstellung im Haus Coburg mit
großformatigen Werken von Siegmund Schneider, Delmenhorster
Stadtstipendiat 1991/92 und gerade zum Macher des neuen
Jahresplakates mit dem bezeichnenden Titel „Legoland
avanciert -und die kleine, aber umso sehenswertere Auswahl
von Architekturfotos der 30er Jahre, hinterläßt in ihrem
bewußten Kontrast einen eher faden Nachgeschmack. Auch wenn
die kritische Auseinandersetzung mit Schneiders bunter
Bilderflut lohnt, die Lust auf Kunst bleibt gering.
Schneider versucht seit Jahren, architektonische Formen zu
vereinfachen, auf das absolute Mindestmaß zu reduzieren, um
damit neue Wirkungen zu erzielen. Eine obskure, monumentale
Mischung aus Schrecken und Schönheit soll dem Betrachter
Radikalität vorgaukeln. Dabei ist nur die Künstlichkeit
dieser „Bilderwelt“ radikal inszeniert: Grelle, kräftige
Farben und gigantische Fragmente wie Fundamente, Sockel,
Säulenreste und. andere geometrisch exakt konstruierte
Körper beherrschen die Bildinhalte. Schneiders
Form-Reduktionen haben monströsen Charakter, der massive
Farbeinsatz beansprucht zusätzlich dass Auge. Versöhnlich in
manchen Bildern der mehrfache Auftrag, der bisweilen zu
herrlicher Leuchtkraft führt.
Doch dieser Aspekt kann den Eindruck von Gefälligkeit,
Glätte, eisiger Kälte nicht wegfärben. Schneiders strenge
Werke bieten menschenleere Szenarien, bestens geeignet für
das durchgestylte Chefbüro in einem Wolkenkratzer. Sehr
dekorativ, Macht ausstrahlend und trotz der kräftigen
Farbkontraste synthetisch und menschen-verachtend in der
Wirkung. Too much, einfach zuviel.
Der 38jährige Künstler will scheinbar diese Schaffensperiode
beenden. Diesen Ein-druck vermitteln die grau-schwarzen
Exponate. Hier wird seine endzeitliche
Reduzierungsvorstellung mit zerstörerischer Verachtung
punktgenau formuliert. Ein Abschied von einer ausgiebig
angewandten Methode?
Teil zwei der Coburg-Ausstellung ist der Modernen
Architektur mit Schwerpunkts auf den 20er und 30er Jahren
gewidmet. Aus der Sammlung des jungen Nümbergers Peter
Gössel (auch zuständig für die Konzeption des
Industriemuseums) wurde eine
Foto-Reihe zusammengestellt, die funktionale Bauwerke wie
Wohnhäuser, Fabriken und andere Zweckbauten von Architekten
wie Le Corbusier, Gropius und Aalto unverstellt mit ihren
negativen wie positiven Begleiterscheinungen wieder in den
Blick rückt. Die kalte Größe und die klare Funktionalität
blendet, fasziniert und erschreckt zugleich.
Gössels Plädoyer für diese variantenreiche Baukultur bei der
Eröffnung brachte diese Aspekte voll zum tragen. In der
Foto-Auswahl befinden sich neben amerika-nischen
Repräsentativbauten und Bauhaus-Klassikern auch „Machwerke“
des Dritten Reiches, so das Haus der Deutschen Kunst
(München, 1937) und die Deutschland-Halle (Berlin, 1936),
die dem menschenverachtenden Größenwahn das Wort redet, Aber
auch die gezeigten Wohnsilos aus späterer Zeit, montiert im
fragwürdigen Fertigteil-Konformismus, weisen mit ihrem
sozialen Sprengstoff ebenfalls in eine inhumane Richtung.
Aus: TAZ Bremen, 1992
Faschismus bzw. Avantgarde
In Delmenhorst: Eine sehr irritierende Ausstellung über die
Architektur der Moderne
War die Architektur des Faschismus die notwendige
Fortentwicklung der großartigen Baukunst der Moderne? Oder
war die neoklassizistische Beeindruckungsarchitektur eines
Paul Ludwig Troost oder Albert Speer eine Fehlentwicklung
der Bauhaus-Avantgarde. die sich ja der Rationalität und
Humanität verschrieben hatte?
Verwirrt und nachdenklich verläßt man die Städtische Galerie
Delmenhorst, die dieser Tage zu einer sehenswerten und klug
komponierten Doppelausstellung einladt. Zum einen werden
historische Fotos zur Architektur der Moderne (Sammlung
Gössel) gezeigt. Und dazu präsentiert die Galerie einen Sohn
und Stipendiaten der Kreisstadt namens Siegmund Schneider,
der sich mit den Mitteln der Malerei seit vielen Jahren mit
Architektur beschäftigt.
Siegmund Schneider bewundert die kalte Ordnung der
Architektur von Gropius. Le Corbusier. Hans Scharoun — und
kritisiert sie zugleich. Er ist. so scheint es, auf der
Suche nach der Idee der Moderne, ihrer Substanz, und stößt
immer wieder auf die schöne, böse. menschenfeindliche Form
als Resultat der Arroganz der Macht. Große Leinwände
bearbeitet er mit reinen Farben, gern komplementär
gegenübergestellt. Die Farbkontraste. schmerzhaft fürs Auge.
bestimmen das Bild von synthetischen Stadtlandschaften:
extrem fluchtende Gebäudekanten haben eine stark räumliche
Wirkung, die aber durch „falsches" Licht und „unmögliche"
Proportionen immer wieder destruiert wird.
Schneider ästhetisiert auf Teufel komm raus — und der Teufel
ist die gesichtslose Macht, die diesen Stadtlandschaften
alles Lebendige austreibt. Selbst sehr malerische Teile
seiner Bilder, die scharf gegen die anderen monochromen
Flächen abgesetzt sind. wirken nur wie Dekor: seelenlos.
Steigt man der Galerie unters Dach, ist man plötzlich in
einer ganz nüchternen Ausstellung kleinformatiger Fotos, die
es einem nicht leicht macht. Der Nürnberger Gestalter und
Ar-chilekturhistoriker Peter Gössel hat zum Thema „Um 1930"
Bilder zur Verfügunggestellt.diean die architektonische
Formen-Sprache der vor-postmodemen Zeit seit dem Bauhaus
erinnern. Da sind Fotos von Privathäusern, „Ikonen der
Moderne", etwa eines Mies van der Rohe oder Le Corbusier.
Als Beispiele für einen internationalen Stil werden
Wolkenkratzer aus des USA gezeigt. Daneben, unauffällig
eingereiht, Architektur des italienischen und deutschen
Faschismus. aus Mailand, Berlin, München. Bezüge, die zu
denken geben, wie auch der Beitrag von Ford/USA für die
Weltausstellung 1939: ein gewalttätiger Tempel der Macht,
mit einer theatralischen Lichtregie ausgeleuchtet, die für
jeden Reichsparteitag gut gewesen wäre.
Eine überaus beunruhigende Ausstellung, die einen etwa
vorhandenen Begriff von „faschistischer Ästhetik"
nachdrücklich irritiert.
Die Würfel, Kegel, Kugeln, Zylinder oder die Pyramiden sind
die großen primären Formen, die das Licht klar offenbart!
ihr Bild erscheint uns rein und greiftar, eindeutig. Deshalb
sind sie schöne Formen, die allerschönsten. Darüber ist sich
jeder einig, das Kind, der Wilde und der Metaphvsiker,
postulierte Le Corbusier.
Die strenge Linie im Bauen der Gegenwart hat einen Sinn, der
durch keine Ablehnung der Sachlichkeit aus der Welt zu
schaffen ist: sie steht in enger Verbindung mit der straffen
willensmäßigen Bearbeitung der Wirklichkeit, die dem heute
lebenden Geschlecht zur Pflicht geworden ist. Ein Projekt
für tausend Jahre. Der letzte Satz stammt von Wilhelm
Michel, einem Architekturkritiker, 1934 geschrieben. Bis bis
zum 25.10.
Ausstellung "Malmaison" im Kunstverein
Ganderkesse, 1991, mit Sabine Hartung
|
im Kunstverein Ganderkesee, 1991
|
Aus: „Punkt“, Heft 14, März 1991
Autor: Ute Ocasek-Fürg
Siegmund Schneiders großformatige Bilder sind auf den
ersten Blick bestimmt von Motiven, die an Architektur der
ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erinnern. Die
Konzentration auf Kolossales und Kultisches dieser Zeit
erfolgt durch das Aussparen dessen, was auf die
Bewohnbarkeit/Benutzbarkeit durch Menschen hinweist. Die Ge-
und Verschlossenheit der wie Skulpturen erscheinenden
Gebäude wird durch eine differenzierte Farbgebung
unterstützt. Leuchtende und matte, ungebrochene Farbe und
solche, die erst durch das Zusammenschauen verschiedener
Nuancen vor dem Auge entsteht, unterstützt die Illusion von
Gebautem, läßt es aber gleichzeitig ganz unwirklich
erscheinen. Da die Farbflächen gegeneinander abgegrenzt sind
(manchmal sogar durch aufgesetzte Linien), kommt dem
Betrachter bei näherem Hinschauen eine Reihe von
Einzelbildern entgegen, jedes von ihnen ist höchst sensibel
durchgestaltet. Die bildnerischen Möglichkeiten:
Architektur, Bildhauerrei und Malerei werden vom Künstler
bedacht, und sie erscheinen miteinander verknüpft,
gleichzeitig in jeder einzelnen Arbeit. Ein solches Vorgehen
weist über bildnerisches Handeln hinaus und läßt die
Möglichkeit von Vernetzung in andere Bereiche aufkommen.
Rede zur Eröffnung der Ausstellung "Malmaison"
im Kunstverein Ganderkesee am 13.04.91
Autor: Robert Harnischmacher
Meine Damen und Herren,
ich muß gestehen: Ich finde, das Reprtoire an Bildthemen,
das uns Siegmund Schneider und Frau Hartung hier
präsentieren, ist äußerst dürftig. Allenfalls zwei Sujets
lassen sich ausmachen: die Rosensammlung von Frau Hartung
und die kubischen Formen - Bauklötze, Architektur - von
Siegmund Schneider. Von einer überbordenden Phantasie, die
uns hier entgegenströmt, kann unter solchen Umständen kaum
die Rede sein. Doch als wollten die beiden uns für diesen
Mangel an Vielfalt entschädigen, haben sie ihre spärlichen
Bildangebote in üppige Farbkompositionen getaucht. Bei Frau
Hartung finden sie sich in einer ins Unendliche reichenden
Vervielfältigung von Rosenblüten, während uns Siegmund
Schneider mit großen Formaten überfällt.
Der Speicher, auf dem wir uns hier befinden, scheint mir der
ideale Ausstellungsort für das Oeuvre der beiden, und zwar
aus folgendem Grund: Es ist kaum ein größerer Gegensatz
denkbar als der zwischen der Wärme dieses farblosen,
balkendurchzogenen Dachbodens und der kühlen
Gegenstandsarmut der ins Blickfeld gerückten, leuchtenden
Gemälde. Am krassesten deutlich wird dieser Gegensatz in den
Werken Siegmund Schneiders, weil sie das zum Thema machen,
worin sie selbst erst eine Bedeutung erlangen können: in
belebten Gebäuden. Dabei zeigt uns Schneider seine
Architektur in so leblosem, unbewohntem Zustand, wie es nur
sein kann: monomanisch stehen seine Prachtbauten da, mit
ornamentloser Fassade, ohne Türen und Blumenbänke, oft sogar
ohne Fenster. Es gibt keine Vorgärten und Straßenschilder,
keine Zeichen menschlichen Lebens. Die Raumfluchten
springen, wenn überhaupt, fast ansatzlos aus dem unteren
Bildrand und treffen sich im Nichts des Horizonts mit dem
Firmament, das so erleuchtet ist, als wären die Atomkriege
schon darüber hinweggefegt.
Bestenfalls scheinen uns diese Monumente der Baukunst an die
verblichenen Zeiten antiker Tempel zu erinnern, öfters
jedoch an das Menschenfeindliche von intergalaktischen
Raumstationen, realsozialistischen Alexanderplätzen oder an
den faschistoiden Glanz Nümberger Reichsparteitagsgelände.
Doch Siegmund Schneider hat unser Erinnerungsvermögen
einkalkuliert. Er rechnet damit, daß wir erschreckt
zurücktreten und uns fragen: Wird hier nicht die
I.eblosigkeit größenwähnsinniger Architektur zelebriert? -
Dabei mag sich Schneider insgeheim ins Fäustchen lachen: Hat
er uns denn nahegelegt, in seinen Gebäuden einen Hort
menschliche Zuasammenlebens zu sehen? - Mitnichten!
Er hat seine kubischen Formen ja gerade aus dem Chaos der
städtischen Ballungsgebiete herausgerissen und aufs
künstliche, eben künstlerische Plateau der Leinwand
gestellt. Damit entzieht er uns alle Wertorientierungen, die
wir fürs Befinden über Architektur mitbringen. Er weiß
genau, daß uns erst das Eingefügtsein der Bauformen in die
reale l.andschaft, diese permanente Kompromißhaftigkeit und
also Relativität aller Architektur, in den Stand setzt,
unser Urteil über sie zu fällen.
Damit komme ich zurück auf das erschreckte Zurücktretenvor
den Gemälden dieser Monumentalarchitektur, die wir zumindest
in Teilen als historisch unheilvoll erinnem. Dieses
Eschecken ist das präzise Zeichen unserer Desorientierung:
Denn irgendwie ziehen uns diese Bilder doch auch magisch an.
Ihre perspektivische Komposition und ihre überaus feine
Farbgebung erzeugen eine Suggestion, der wir uns nicht
entziehen können. Mir kommt es so vor, als wäre uns mit
Schneider ein neuer deChirico der konzeptionellen Malerei
auf der Kunstbühne erschienen. Seine Bilder haben die
Strahlkraft von de Chiricos italienischen Plätzen, doch ihm
gelingt das Kunststück, diese lntensität entstehen zu lassen
ohne die für de Chirico zentralen Metaphern: ohne die tiefe
Perspektive, den harten Schlagschatten, die Skulptur auf dem
Platze und nicht zuletzt ohne den winzigen Menschen, wie er
in der Weite des Raumes daherflaniert. Schneider läßt seine
Architekturwelten - dies kann werkgeschichtlich
nachvollzogen werden - in zunehmend entleerten Kompositionen
entstehen. Sie erscheinen inzwischen fast vollständig
gereinigt von allen chaotischen Zusammenballungen und
Beiläufigkeiten - und damit sind sie zugleich gereinigt von
allen Zutaten, aufgrund derer uns eine Verwechslung des
Gemalten mit dem, was wir für bare Realität nehmen,
unterlaufen könnte.
Wo die kubistische Architekturmalerei, allen voran der frühe
Picasso, nochein Ensemble von städtischen Bauformen zu
Darstellung brachte, reduziert Schneider die Faszination am
Bauwerk bis auf den Null-Punkt der gegenständlichen Form,
bis auf den einsam prunkenden Solitär. Schneider löst damit
in anderer Form ein, was Picasso in späteren Jahren einmal
in folgenden Worten für sich reklamiert hat: "Früher
näherten sich die Bilder ihrer Vollendung in Etappen ... Ein
Bild pflegte eine Summe von Ergänzungen zu sein. Bei mir ist
ein Bild eine Summe von Zerstörung ... Doch zu guter letzt
ist nichts verlorengegangen." Was Picasso "Zerstörung"
nennt, ist bei Schneider die Verbannung aller beiläufigen
Umwelt des Baukörpers sowie seiner konstruktiven
Ausgestaltung.
Als gelemter Fernmeldetechniker versteht Schneider sein
Handwerk in doppeltem Sinne: Er weiß zum einen, daß seine
Gebäude nur dann ihre ungestörte Wirkung entfalten können,
wenn sie sich nicht kümmem müssen um die Grenzen ihrer
handwerklichen Realisierbarkeit. Bei ihnen waren keine
lnstalllateure, Schreiner, Poliere und Landschaftsgärtner am
Werk. Auch Bauanträge und Ausschreibungen sind für Siegmund
Schneiders Monumente nicht vorgesehen. Es ist, als wollte
Schneider uns ständig zurufen: Denkt daran, dies ist nicht
gebaut, sondem gemalt worden! Also keine Angst - ihr dürft
ruhig Gefallen finden an meinen Entwürfen. - Zum anderen
schafft Schneider es mit der ihm eigenen, unglaublichen
Virtuosität im malerischen Handwerk, seinen Bildern eine
Materialität zu verleihen, die so intensiv ausatmet, als ob
die Stahlbahnen und die Abdrücke der Betonschälungen direkt
auf der l.einwand eingebrannt wären.
Wenn wir uns die Doppelgesichtigkeit in Siegmund Schneiders
Architekturgemälden erspüren - das manchmal
Menschenabweisende der monumentalen Bauformen in Widerspruch
zu ihrer ästhetischen Anziehungskraft -, dann entfaltet sich
uns ihre eigentümliche Aura. Sie lebt, um mit Walter
Benjamin zu sprechen, in der "einmaligen Escheinung einer
Ferne, so nah sie sein mag".
Aus: Ausstellungskatalog zur Ausstellung
"Malmaison" im Kunstverein Ganderkesse
Autor: Rainer Weisel
SIEGMUND SCHNEIDER
Form, Fläche, Farbe, Struktur kennzeichnen das künstlerische
Werk von Siegmund Schneider. Sie sind die bestimmenden
Elemente im Anliegen des Künstlers, in und mit seiner
Malerei alle vorhandenen und neu zu entdeckenden Fähigkeiten
als Mittel der Erkenntnisfindung einzusetzen. Dies erfordert
vor allem, daß der augenblicklich beobachtete Zustand eines
Systems nicht als der Zustand des Systems als ganzes
begriffen, sondern daß er als bloß augenblickliches
beschrieben wird.
Somit ist das Arbeitsergebnis nur begrenzt voraussehbar. Es
ist stark von den Ausgangsbedingungen abhängig. In der
Farbwahl und in der Art der Verarbeitung erfährt vor allem
die emotionale Befindlichkeit des Künstlers Ausdruck. Zum
Beispiel trägt er Farbe ungleichmäßig auf die Leinwand und
übermalt sie mit Weiß, bis ein hell-milchiger Hintergrund
entsteht. Das Einsetzen einer Malerrolle bringt farbige
Flächen hervor. Eine Holzlatte, auf die rote Farbe aus der
Tube gedrückt wurde, schafft beim Abziehen auf der gelb
eingefärbten Leinwand Zufallsstrukturen. Den
unterschiedlichen Arbeitsweisen liegt die Möglichkeit
permanenter Veränderungen im Schaffensprozeß inne.
Meditation und Ekstase markieren dabei Polaritäten, zwischen
denen und über die hinaus sich der Künstler bewegt. Siegmund
Schneider bereitet den Bildraum ungegenständlich auf, bevor
er ihn durch malerische Strategie in gegenständliche Malerei
verwandelt. Dann treten strenge geometrische Formeen in das
Bild. Sie sind Ergebnisse unzähliger Skizzen, in denen ein
Problem aus unterschiedlichen Richtungen methodisch befragt
wurde. Linear – auf der Suche nach dem kleinsten
unteilbaren. Zweidimensional – im Untersuchen von
Wechselwirkungen. Dreidimensional – im Vernetzen von
Systemen, die nicht miteinander in Verbindung zu stehen
scheinen.
Die dabei entstehenden Architekturformen können sehr wohl
als Symbole einer höheren Realität verstanden werden. Die
Architektur ist zum Ding, zum undeutbaren Gegenstand
geworden, das heißt vom Menschen, der sie einmal geschaffen
hatte, abgelöst, abgetrennt, ihm entfremdet, verdinglicht.
Im spezifischen Gebrauch der Geometrie, im Umgang mit der
Perspektive und mathematischen Proportionen wird die
inhaltliche Fremdheit der Konstruktionen betont.
Unterschiedliche Malweisen und das Verwenden leuchtender
Farben, die oftmals aggressiv kontrastieren, steigern und
überhöhen diese Wahrnehmung noch. Dennoch sind wir den
Arbeiten auf rätselhafte Weise weiterhin verbunden. Sie
wirken auf uns faszinierend und unheimlich zugleich.
Verstärkt wird dieser Eindruck durch das Hermetische der
dargestellten Bauwerke. Wir können uns als Suchende weder in
sie hinein noch aus ihnen heraus begeben. Auch Vorder- und
Hintergründe ge-ben uns nur bedingt Hinweise. Sie halten vor
allem eine Leere fest, auch wenn einzelne Gegenstände
gleichsam als Träger oder Akteure einer chiffrierten,
undurchschaubaren Handlung auftreten und sich zwischen ihnen
unerklärliche Beziehungen entspannen. Wir mögen dabei die
Orientierung verlieren, ja sogar ortlos erscheinen. Der
Versuch, in eine naturalistische Form zu entfliehen,
scheitert. Wir können uns den Arbeiten Siegmund Schneiders
entziehen, ließen damit aber die angebotene Möglichkeit aus,
der stets veränderlichen Wahrheit unserer Existenz
näherzukommen. Ich plädiere für die Annahme derselben.
Aus: Delmenhorster Kreisblatt", 1991
Autor: Karl-Heinz Montag
Farbenprächtige Malmaison
Kunstverein Ganderkesee: "Bauklötze und Rosen" in der
Försterei
Ganderkesee. Malsaison in der idyllisch gelegenen
Ganderkeseer Malmaison: Rosen für die Damen, Rosen für die
Herren! Der Kunstverein Ganderkesee weiß, was er Künstlern
und Gästen bei einer Ausstellungs-Eröffnung schuldig ist. In
der Grüppenbührener „Försterei 11" kommt der dornenreichen
Naturgabe sogar doppelte Bedeutung zu: Denn neben kubischer
Architektur-Malerei des Delmenhorsters Siegmund Schneider
sind seit Sonnabend großformatige Rosen-Motive von Sabine
Härtung (Offenbach) auf dem kahlen, aber' faszinierenden
Dachboden des Ausstellungsforums zu sehen.
Für die farbenprächtigen Exponate ist der balkendurchzogene
Speicher ein kontrastreiches Terrain, wie nicht nur der
Frankfurter Fotograf Robert Hamischmacher angesichts der
"kühlen" Atmosphäre als Eröffnungsredner seinen ersten
Eindruck treffend formulierte. Schneiders "Prachtbauten" und
Hartungs „Rosensammlung" korrespondieren in ihrer
leuchtenden Intensität mit dem vorherrschenden Grau und Weiß
des Försterei-Ambientes.
Schneiders Betonklötze sind mit brutaler Härte in die Welt
hineinkonstruierte Refugien unmenschlicher Kälte. Der
Vergleich mit galaktischen Raumkreuzern aus
Science-Fiction-Filmen, realexistierenden DDR-Prunkbauten
und der nationalsozialistischen ReichsparteitagsrArchitektur
ist durchaus angebracht. Die ausufernde
Wolkenkratzer-Ästhetik durchbricht alle Gesetze humanen
Lebens. Schneiders Monumente faszinieren durch ihre
formschöne, wenn auch abweisend-inhaltlose Unbewohnbarkeit.
Gleichzeitig konfrontieren sie den Betrachter mit
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft großstädtischen Lebens,
das dem Größenwahn gewaltiger Architektur-Komplexe allzu
gern huldigt.
Sabine Hartungs Rosen-Kreationen führen den
Ausstellungs-Besucher dagegen in Malerei-Welten. die die
„Wirklichkeit übertreffen", wie die 1965 geborene Künstlerin
selbst ihre Motivation beschreibt Mit Titeln wie "Pink
Perfect", "Rouge Royal" und „Sugarfree" umschreibt Härtung
ihre Serienproduktion einer Blütenpracht, die im krassen
Gegensatz zur städtebaulichen Häßlichkeit ihrer Heimstadt
Offenbach am Main stehen.
Sabine Härtung verzichtet in ihren quadratischen
Rosenbildern auf Stiele, Blätter und Domen. Nur die Blüte
interessiert. Die ROSE als Symbol der Schönheit, Liebe und
Tugend. Der Betrachter darf in kräftige Farben wie
Ziegelrot, Flammrot und Zyklamrot eintauchen. Visueller Duft
ist garantiert.
Daß Ausstellung-Duett von Sabine Härtung und Siegmund
Schneider ist bis zum 19. Mai in der Försterei 11 zu sehen.
Öffnungszeiten jeweils Dienstag und Donnerstag von 17 bis 19
Uhr, Sonntag von 15 bis 18 Uhr. Ein gelungener
"Malmaison"-Katalog ist vor Ort erhältlich.
Karl-Heinz Montag
Aus: Delmenhorster Kurier 1991
Einmal mehr Überraschungskunst geboten
„Malmaison“ mit Sabine Hartung und Siegmund Schneider in der
Alten Försterei
Ganderkesee (me). Die Ausstellung mit dem Titel „Malmaison"
ist insofern keine Ausnahme, denn schon von Anbeginn bemühte
sich der Ganderkeseer Kunstverein um eine andere Art von
Kunst als sie bislang in etablierten Einrichtungen zu sehen
war. Die Angesprochenen quittierten die Konfrontation mit
Visionen und Utopien, mit Klang- und Farbkompositionen sowie
flexiblen Installationen in dem großen lichtdurchfluteten
Speicher der Alten Försterei in Gruppenbühren stets mit
zahlreichem Erscheinen. Das Interesse an der
Überraschungskunst ist also groß geblieben, auch wenn sich
die immer wieder verblüffenden Darbietungen dem kritischen
Betrachter nicht so schnell erschließen.
Darum hatten die Verantwortlichen der neuen Ausstellung auch
einen gut vorbereiteten Gast geladen, der sich als
Phüosophiestudent in das Oevre von Sabine Härtung und
Siegmund Schneider mit überzeugender Interpretation vertieft
hatte. Seine Uberlegungen zu den Absichten und möglichen
Effekten der Bildeinfälle trugen dann auch zur Förderung der
Sensibilität jener Gäste bei, die nicht zum unmittelbaren
Freundes- und Verehrerkreis der Aussteller gehörten.
»Malmaison" - so lautet der nach Mai und Blumen duftende und
blühende Titel dieser neuen Ausstellung, die mit großen Pop-
und Bildrosen von Susanne Hartung und den Gast zunächst mit
einer romantischen Aura umhüllt. Dabei ist es immer der
gleiche Blütenkelch, der sich rot und rosa, gelb und orange
darbietet, einladend, verführerisch, doch zugleich von
seltsamer Kühle und Starre. In eine Schablone gepreßt ist
das Sujet, und die Distanz dieser kühlen, vornehmen und
hochgezüchteten Blumengattung in ihrer vielfältigen
Symbolgehalt verwundert und verwirrt. Robert Harnischmacher
sprach den meisten Zuhörern aus dem Herzen, als er die
Monotonie der Rosenbilder zunächst im Raum stellen ließ,
sozusagen als unabänderliche Vorgabe. Aber dann bot er im
Namen der Malerin doch die zahlreichen Interpretations- und
Assoziationsmöglichkeiten zu diesen gleichsam explodierenden
Blüten dar und überließ es den Betrachtern, aus dem
Überangebot zu wählen, was er wollte. Jedem seine Farben,
Rosenvision. Ob allein die Sattheit der Farben und die Größe
der sich umeinander windenden Blütenblätter allerdings die
starren Schönen zum Leben erwecken kann? Für manche bleiben
sie, was bereits Gertrude Stein, viel zitiert, zur einzigen
Wahrheit erhoben hat: schön um ihrer selbst willen, denn
„eine Rose ist eben eine Rose ist eben eine Rose ..."
Siegmund Schneider, gelernter Fermeldetechniker und
Absolvent der Hochschule für Kunst- und Musik in Bremen, ist
in Delmenhorst mittlerweile kein Unbekannter mehr. Durch
verschiedene Ausstellungen und als Gestalter der OLB-Fassade
hat Schneider mittlerweile einen festen Platz in der
hiesigen Künstlergemeinde. sein Angebot nun ist weitaus
schwerer zu erschließen als das seiner Rosen-Kollegin. Der
distanzierte, gleichwohl emotional-gesellschaftskritische
Schneider wirbt mit einer kühlen kubistischen Architektur,
mit geometrischen Formen, die fenster- und türlos als reine
ästhetisierende Objekte in eine große farbige Bildfläche
ragen. Auch seine Bilder bieten zugleich Nähe und Distanz
an: Nähe durch die ruhige, ausgeglichene Komposition, in der
Formen und Flächen feste, gesetzmäßig verankerte
Grundelemente darstellen, an die man sich halten kann. Auch
die farblichen Kompositionen, Zusammenspiel und Gegensatz,
zeugen von einem ebenso vitalen wie empfindsamen
Farbempfinden. Die Kühle liegt hier in den sich selbst
genügenden geometrischen Formen. Wie Sabine Härtung stets
dieselbe Rose vorgibt, stellt sich auch Schneider mit den
stets gleichen geometrischen Formen und Flächen dar. Er
verzichtet bewußt auf Leben, Lebendigkeit durch inhaltliche
Fülle. Alle Formen streben vom unteren Bildrand zum oberen,
stehen auf einem festen Fundament und erinnern an kindliche
Turmspiele mit Bauklötzchen, die mit Jubel umgestoßen
werden, wenn sie hoch in den Himmel geschossen sind.
Schneiders Türme aber scheinen für die Ewigkeit gebaut, sie
zeigen - vielleicht - die seelenlose gigantische Architektur
eines Jahr hunderts, das funktional und technisch denkt, in
dem verwaltet, registriert und konsumiert wird, in dem
Gefühle und Natur nur noch einen fest zugewiesenen Platz
haben. Rot und Orange sind glühende, aufschreiende Farben.
Im Kontrast dazu das stechende Stahlblau und Gelb eines
Himmels. Aber daneben setzt Schneider auch in sich ruhende,
harmonische Farbkompositionen, in denen warme Töne
überwiegen. Es ist also nicht nur die politische Variante,
die hier gespielt wird, es taucht die Vision eines
griechischen Tempels auf, als Bühnenbild vielleicht
geeignet, als Andeutung eines gestalterischen Elementes, das
sich neuen Funktionen öffnet.
Die Ausstellung ist mit einem kostbaren Katalog versehen,
dessen Geldgebern der Vorsitzende des Kunstvereins zu Beginn
der Ausstellungseröffnung herzlich dankte. Die Arbeiten von
Hartung/Schneider sind bis zum 19. Mai in der Alten
Försterei in Grüppenbühren zu sehen.
Ausstellung im Haus am Wasser, Bremen-Vegesack Januar1991
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Ausstellung Haus am
Wasser
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Aus: Weserkurier, Januar 1991, zur Ausstellung
im Haus am Wasser
Die Farbe ist ein wichtiges Baumaterial
Vegesack (wel). Der Delmenhorster Künstler Siegmund
Schneider stellt seine Ölbilder und Zeichnungen im Haus am
Wasser an der Weserpromenade 2 aus. Die in Zusammenarbeit
mit der Kommunalen Galerie Bremen organisierte Ausstellung
trägt den Titel „Archipittura". Sie wird am Mittwoch, 23.
Januar um 19 Uhr eröffnet und ist in Vegesack bis zum 3.
März zu sehen.Schneider, Jahrgang 1953, der nach der Schule
zunächst eine Fernmeldeausbildung absolvierte, danach zehn
Jahre als Handwerker und Techniker gearbeitet und sich erst
relativ spät zu einem Studium entschlossen hatte — er
studierte von 1981 bis 1986 an der Hochschule für Kunst und
Musik bei Professor Jürgen Waller — ist in der Hansestadt
kein ganz Unbekannter mehr.
In Bremen stellte er im Rahmen des „Kunstfrühlings 1985"
aus, zeigte eigene Arbeiten im Cafe Grün (1986) und in der
Weserburg. Im Rahmen von Gruppenausstellungen war er bereits
vertreten in Düsseldorf, Bonn und Delmenhorst. Beim
Kunstverein Ganderkesee wird Siegmund Schneider im April
eine weitere Ausstellung haben.
„Archipittura" — Architekturmalerei — hat Schneider seine
Ausstellung in Vegesack überschrieben, und es sind durchaus
ungewöhnliche Architekturbilder, die er da zeigt. Seine
großformatigen Arbeiten lassen an Entwürfe von Frank Lloyd
Wright denken, an Mies van der Rohe und Le Corbusier, an die
vom Futurismus geprägte Pläne von Mario Chiattone und an
Bebauungsschemata wie sie van Festeren und Pineau für die
Verkehrsstadt der 20er Jahre entworfen haben. Hinweise auf
die klassische Moderne gibt es und auf die durch und durch
menschenfeindliche. Denkmalsarchitektur des Faschismus.
Irgendwie bedrohlich sieht diese „Architektur" aus. Menschen
sind nicht zu sehen auf diesen Bildern, aber man ahnt, daß
sie sich winzig ausnehmen würden im Vergleich zu den Bauten.
Die freilich, sieht man nur genauer hin, sind im Grunde gar
nicht zu nutzen oder zu bewohnen.
Da wird weder eine Architektur gezeigt. die es gab oder
gibt, und auch keine, die es geben sollte. Da spielt der
Künstler mit einem bekannten Formenkanon und setzt aus
Einzelteilen ein Neues zusammen. Das scheinbar
Gegenständliche verliert seine Eindeutigkeit und wird
integriert in eine im Grunde ungegenständliche Malerei, auch
wenn durch Bäume am vorderen Bildrand, Buschreihen an
„Horizont“ oder quasiarchitektonische Rahmungen eine sich im
Raum entfaltende Architektur suggeriert wird.
Wichtigstes „Baumaterial" der Schneiderschen Archipittura
ist freilich die Farbe. Mal ist es ein Grün und ein Blau,
das den Gesamteindruck prägt, mal ein Rot und ein Grün. mal
ein Dreiklang aus Gelb, Rot und Blau, der Volumina bildet
und im gleichen Atemzug wieder auf die Zweidimensionalität
der Malerei verweist.— Von nicht zu unterschätzendem Reiz
sind übrigens die kleinformatigen farbigen Zeichnungen auf
schwarzem Papier, die der Künstler in Ergänzung zu seinem
Ölbildern im Vegesacker Haus am Wasser zeigt. Sie bestätigen
ebenso wie Schneiders großformatige Arbeiten, daß hier
jemand seine ganz eigene, unverwechselbare Handschrift
gefunden hat.
Eröffnungsrede zur Ausstellung im Haus am
Wasser
Autor: Hajo Antpöhler
Als ich dreizehn Jahre alt war, hatte ich in der
Stadtbibliothek Delmenhorst sämtliche Bücher über
Architektur durch, erzählt Siegmund Schneider. Zwanzig Jahre
später macht er Architektur, moderne Architektur, zum fast
ausschließlichen Motiv seiner Malerei.
Der Malerei voraus gehen unzählige Skizzen von Bauten, keine
Architektenskizzen, sondern Zeichnungen nach bestehenden
Bauten, oft berühmten Werken der Architektur-geschichte,
oder eigene „Erfindungen“, genauer: Zusammensetzungen aus
Bauteilen und Stilelementen moderner Architektur.
Die Skizzen entstehen nicht als Vorplanung eines bestimmten
Bildes. Der Anstoß, ein Bild zu malen, geht von der Lust auf
Farbe aus, der Lust auf einen bestimmten Klang, den
Schneider untersuchen und entwickeln möchte. Von der Farbe
ist Schneider, wie man sieht, genauso besessen wie von der
Architektur.
Was Schneider jeweils mit Farbe vorhat, instinktiv, vom
Gefühl her und von der Lust, das steuert ihn beim Blättern
in seinen Skizzen, bis er ein Stück Architektur findet, das
formales Gerüst werden kann für die angestrebte
Farbinszenierung•
Wenn in Schneiders Bildern die Farbe, die leuchtende Farbe
zumeist oder der aggressive Farbkontrast, die Außenwände der
Architektur besetzt, abstrahiert sie die Architektur. Denn
moderne Architektur ist nicht farbig, Schneiders Bild von
ihr aber sehr.
Schneider abstrahiert noch weiter: seine Gebäude haben weder
Fenster noch Türen, kein Fensterraster stört die aufragende
Monumentalität der Farbflächen; Menschen kommen auf den
Bildern auch nur ausnahmsweise vor, die Umgebung der Bauten
wirkt plan oder wie auf einer Reißbrett Zeichnung. Würde man
die schmalen Himmel- und Erdbodenzonen abdecken, sähe man
auf ein ungegenständliches Bild geometrischer Farbflächen,
das Räumlichkeit nur durch die Ausstrahlung der Farbwerte
bekäme.
Schneider stellt Untersuchungen zur Farbe an, die andere
Maler in rein ungegenständlicher Malerei vortragen.
Schneider malt nicht bedingungslos ungegenständlich. Ich
denke gegenständlich, sagt er. Außerdem ist da sein
Interesse an Architektur. Schneider bindet seine Malerei an
die Bedingung des Gegenstandes und nimmt sich dem Gegenstand
gegenüber die Freiheit zur Abstraktion. Er verbindet
Gegenständliches und Ungegenständliches in einem Bild.
Schneider abstrahiert auch die Umgebung der Architektur im
Bild; Beispiel: der grüne Himmel als Gegensatz zum Rot der
Architektur im Bild „Ministerium“. Noch deutlicher sind die
Fälle, in denen Schneider Bäume oder Gebüsch zu Füßen der
Gebäude malt: da schmiert er die Farbe dick und fast
gestaltlos aufs Bild. Wir können sie zwar als Gebüsch lesen,
aber wichtiger ist, daß hier noch eine andere Malweise ins
Bild kommt als für die geometrischen Farbflächen, deren
malerische Behandlung ja auch schon differiert.
Schneider zitiert und addiert Malweisen in einem Bild;
das ist ein Vorgehen, das mit reiner, malereibezogener
Malerei zu tun hat, bei Schneider aber doch gegenständliche
Lesbarkeit erlaubt.
Die Arbeit mit verschiedenen Malweisen und Stilen wird
be-sonders deutlich im „Fassadenmann“, dem gründerzeitlichen
Stuck-Giganten. Das Bild zeigt, wovor einst die Avantgarde
in die Moderne geflüchtet ist und wohin die Transavantgarde
sich heute zurückträumt. Das Bild fällt aus der
Gleichartigkeit der übrigen ausgestellten Arbeiten heraus,
und das soll es auch. In unverschämter Weise geht Schneider
in Distanz zu seinem eigenen Stil und sagt: Ich kann auch
anders, Dogmen schmecken mir nicht. Die Kunstgeschichte mit
ihrer Form- und Stilvielfalt sollte nicht Verbotstafeln
aufstellen, sondern Angebote machen, die man wie Werkzeuge,
einmal erfunden und dann bereitliegend zu allgemeinem
Gebrauch, benutzen kann.
Farbe und Form der Bilder begünstigen bei aller Kühle und
geometrischen Klarheit eine expressive Wirkung. Die Farbe
ist für Schneider sowieso mit Emotion besetzt. Wenn er, wie
in „Ministerium“, gleiche Formteile in perspektivischer
Schrägstellung malt, so daß sie von links nach rechts
scheinbar wachsen, entstehen dynamische Diagonalen, und ein
gleichbleibender Beat bekommt einen mitreißenden Drive.
Ein Bild trägt im Untertitel den Namen eines englischen
Volksliedes. Ich kenne das Lied nicht, will es auch nicht
kennen, um nicht interpretieren zu müssen. Ich erwähne es,
weil es zeigt, daß Assoziatives, emotionales in der
farblichen und formalen Klarheit der Bilder eingefangen ist,
das sich bei längerem Umgang mit ihnen deutlicher
erschließen wird.
Die gemalte Archiktur hat fast immer gewaltige Dimensionen.
Sie wird stets von unten gesehen, der Mensch wird klein vor
ihr, wird klein gemacht von ihr. Die überdimensionalen
Bauten sind Ausdruck von Macht, die ihr menschliches
Gegenüber einschüchtern soll.
Die Bauwerke können begeistern. Hoch aufragende Doppeltürme,
die geradezu abheben in einen wie auch immer gefärbten
Himmel hinein, können mitreißen, können Ausdruck eines
gehobenen oder abhebenden Lebensgefühls sein.
Aber es kommt beim Ansehen der Bilder der Augenblick, in dem
die Begeisterung nicht mehr vorbehaltlos gelingt. Die
Architektur der Größe und der Macht wirkt unheimlich,
bedrückend, drohend. Der Grad der Bedrückung ist von Bild zu
Bild verschieden, ist auch abhängig vom Empfinden des
einzelnen Betrachters. Für meinen Geschmack ist das
Unheimliche am deutlichsten greifbar in dem dunkelgrünen
Bild (im Atelierraum), bei dem ausnahmsweise ein Titel,
„Wachtturm“, in die entsprechende Richtung weist. Am ändern
Ende der Skala gibt es Bilder, die hinter Schönheit und
Harmonie ihre Tücke verbergen.
Schneider möchte keine Bilder liefern, die einseitig
verherrlichen, und keine Bilder, die allzu offensichtlich
nur kritisch sind. Er will nicht den Weltausschnitt, den er
malt, so einfach, so vereinfachend bewerten nach Gut und
Böse, Schwarz und Weiß. Die Architektur der Machtausübung
und Einschüchterung hat ihre faszinierende Ästhetik. Aber
die Faszination ist gebunden an das, was uns klein macht, an
die Niedertracht der Macht.
Schneiders Bilder sind in Absicht und Wirkung ambivalent,
doppeldeutig. Sie wollen den Betrachter zum Zweifler machen,
der die Widersprüche nicht glättet, sondern mündig sich
ihnen stellt.
Hajo Antpöhler
rechts: Vernisage in der Atelierhofgalerie, im Gespräch mit
M. Heinz-Hoek, 2010
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