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Ausstellung im Tabakquartier

Aus: Weserkurier/Stadtteilkurier Süd  vom 16.6.2022

Von Matthias Holthaus

Ikonische Denkanstöße

Wie Siegmund Schneider mit seiner Ausstellung im Tabakquartier nach Auswegen aus Krisen sucht

„Ich habe versucht, das ganze Spektrum zu erfassen“, sagt der Künstler Siegmund Schneider – und seine Bilder zeugen davon: Mit der Ausstellung „Es gibt einen Ausweg – ikonische Malerei“ zeigt er im „Kunstraum regional“ im Tabakquartier noch bis zum 30. Juni seine Gedanken und Interpretationen zur Corona-Pandemie.

Und nicht nur die Pandemie ist Thema: „Es geht auch um den Umgang mit Krisen“, meint er und sagt zugleich: „Der Titel ist ja auch ein wenig eine Behauptung. Ich bin der Meinung, dass es immer einen Ausweg gibt.“ Und das gilt auch für Verschwörungstheoretiker, die durch die Corona-Krise wieder Aufwind bekommen haben: Das Bild „Der große Durchblick“ etwa erinnert an ein Kirchenfenster – es geht also um Religion, um Glauben – und der Untertitel dieses Werks lautet dann auch folgerichtig: „Man soll nicht alles glauben, was man denkt!“ Siegmund Schneider widmet das Bild all denen, die meinen, sie hätten den großen Durchblick, dabei sehen sie doch nur ihren eigenen Irrsinn.

Religiös scheint es weiterzugehen, das „Grabmal für einen unbekannten Querulanten“ steht für die Wissenschaftsfeindlichkeit und die Wirklichkeitsverleugnung einiger Menschen. Doch es gibt auch optimistische Bilder: „Komm raus aus deinem Loch“ lässt durch eine viereckige Öffnung im Dach den blauen Himmel erscheinen. „Das kann auch ein psychisches Loch sein“, erklärt Siegmund Schneider, „zum Beispiel nach dem ersten Lockdown, da hat man sich ja auch erst einmal nicht getraut, sich Menschen zu nähern. Doch man muss sich immer wieder raus trauen, um die Sonne zu sehen.“ Folgerichtig heißt es im Ausstellungskatalog auch: „Trauen wir uns, unser Loch zu verlassen. Draußen ist der Himmel blau.“ Und es schließt sich ein Appell an: „Man darf das Leben draußen nicht nur noch als Gefahr sehen.

Seiner Bildsprache treu geblieben

Ruth E. E. Cordes betreibt den Kunstraum regional und sagt über die Arbeit Siegmund Schneiders: „Er ist seiner Bildsprache über die Jahrzehnte immer treu geblieben. Und er ist einer der wenigen Künstler, die eigene Texte zu ihren Bildern schreiben.“ Zum Nachdenken wolle er animieren und deshalb betitele er seine Bilder auch ganz konkret. Das Bild „Es gibt einen Ausweg“, welches der Ausstellung auch den Titel gibt, erinnert in seiner Struktur sowohl an einem Tempel in Griechenland als auch an einen Kinderlaufstall. Inmitten all der Säulen fehlt jedoch eine solche – ein Ausweg aus der Pandemie? Doch man könne die Aussage des Bildes auch weiter fassen, schreibt Schneider in seinem Katalog: Ohne den Glauben an einen Ausweg seien alle Bemühungen sinnlos – „letztlich können wir nur auf Demokratie, Freiheit, Menschenrechte und Vernunft vertrauen.“ Ruth E.E. Cordes sagt dann auch folgerichtig: „Trotz der Dystopie transportiert Siegmund Schneider auch Humor und Klarheit. Es sind Farben in der Krise und bieten einen bestimmten Ausweg heraus aus der Krise.“ Malerisch besonders sei vor allem, dass die erarbeiteten Flächen immer noch Struktur aufweisen: „Die Flächen sind komplexe Gemälde mit Sogwirkung und einer enormen Tiefe. Und auch nach vier Wochen noch immer nicht langweilig.“

Die Arbeit zur Ikone erheben

Und so sieht der Betrachter zunächst auch eine Fläche, die sich als Haus ohne Türen und Fenster entpuppt, doch „My Home is my Castle“ ist dann doch viel mehr: „Das habe ich während des ersten Lockdowns gemalt. Das wollte ich zuerst gar nicht, doch als ich fertig war, sah ich, dass es passte“, sagt der Künstler. „Es zeigt ein Haus ohne Fenster und Türen vor einem dunklen Himmel“, besagt der Katalogtext: „Noch mehr Abschottung geht nicht, diese Isolation ist vollkommen.“ Und er fragt: „Wie lange lässt sich solch ein Zustand ertragen?“ Dazu passend auch ein Bild mit dem Titel „Die Wand“: „Wände halten ab, Wände beschützen“, erklärt dazu Siegmund Schneider. „Doch weiß man nicht, ob man vor der Wand steht oder dahinter.“

Mit der Ausstellung „Es gibt einen Ausweg" Ikonische Malerei“ möchte Siegmund Schneider das Thema der Arbeit zur Ikone erheben, sagt dazu Ruth E. E. Cordes: „Der Betrachter nimmt dabei eine demütige Position ein – von unten nach oben.“ Und in der Tat ist der Blick des Betrachters stets der Gleiche: „Er schaut immer auf“, erklärt Siegmund Schneider. „Das mache ich seit 30 Jahren. Die Bildunterkante ist der Horizont.“ Kunst machen sei ihm wichtig, führt er weiter aus, „ich möchte etwas rüberbringen und keine Wanddekoration schaffen. Ich finde es unerträglich, dass viele Künstler sich aus allem raushalten.“ Folgerichtig ist auch der Krieg in der Ukraine ein Thema: „Frei sein“ heißt etwa ein Bild, dass eine Lücke in einer grau-blauen Mauer zeigt – darüber ein gelber Himmel. Trotz aller Katastrophen, so der Katalogtext: „Dieses Bild soll trotzdem die Sehnsucht nach dem Freisein vermitteln.“

Der Kunstraum regional hat keinen festen Ort und befindet sich derzeit Am Tabakquartier 60-62. Gefördert von Justus Grosse, dem Kultursenator und der Sparkasse Bremen ist der Raum lediglich für die Ausstellung von Siegmund Schneider geöffnet. Noch bis Donnerstag, 30. Juni, ist die Ausstellung an jedem Dienstag und Freitag von 17 bis 20 Uhr geöffnet. Am Dienstag, 21. Juni, ist der Kunstraum regional von 11 bis 20 Uhr geöffnet, um allen Werktätigen die Möglichkeit zu bieten, die Ausstellung besuchen zu können.



Werkschau: Siegmund Schneider
Delmenhorster Kurier vom 27.07.2018

Spiel mit architektonischen Formen

von Esther Nöggerath 27.07.2018

Delmenhorster_Kurier

Der Delmenhorster Künstler Siegmund Schneider arbeitet in seiner farbgewaltigen Malerei vorwiegend mit architektonischen Formen. Dabei greift er oft Themen wie Macht oder Machtgefüge auf.

Diese eine Arbeit, die nie so richtig will, kennt wohl jeder Künstler. Ein Bild, das nie so wird, wie man es sich vorstellt und das man immer und immer wieder zur Seite legt, wieder hervorholt, noch einmal dran geht, nur um dann wieder nicht zufrieden zu sein. Über Jahre kann sich so ein Prozess hinziehen, bei Siegmund Schneider sind es sogar rund 30 Jahre. "Das letzte Mal habe ich das Bild total zerstört, mit einem Messer und mit Lösungsmitteln bearbeitet und danach komplett neu aufgebaut", erzählt Schneider. Ein Titel hat das Gemälde nicht, aber nach der letzten Überarbeitung wirkt er doch ganz zufrieden damit. Und das kann er auch. Denn es wirkt gerade durch die über Jahre hinweg fortgeführte Bearbeitung. Das Gebäude, das darauf abgebildet ist, bekommt durch die teils brachiale Frischekur einen Look, der perfekt passt. Man sieht förmlich den Rost des Materials, die von Witterung und Zeit in Mitleidenschaft gezogene Fassade, die von Furchen übersäte äußere Schale. Und dennoch wirkt das Gebäude unzerstörbar, monumental. Wie ein riesiges Industriedenkmal, in Szene gesetzt durch den knalligen Hintergrund, der das Gebäude geradezu leuchten lässt. 1989 hat der Delmenhorster Künstler das Bild gemalt, auch wenn es da noch ganz anders aussah.
Schon damals hatte Schneider eine Vorliebe für Architektur, die immer und immer wieder in seinen Werken vorkommt. Angefangen von der Abbildung der großen Werke der Moderne, wie dem Pavillon von Mies van der Rohe auf der Weltausstellung 1929 in Barcelona. "Ich kannte damals nur ein Schwarz-Weiß-Foto von dem Pavillon", erzählt Schneider. Deswegen malte er die Wände in Braun, auch wenn er später erfuhr, dass sie eigentlich grünlich waren. Damals arbeitete er auch noch ein ganzes Stück naturalistischer, arbeitete Pflanzen und Bäume im Hintergrund und die Wasseroberfläche im Pool aus. "Da bin ich sehr schnell von abgekommen", sagt Schneider, der in Delmenhorst geboren und aufgewachsen ist. Er abstrahierte die Architektur, schuf seine eigenen Gebäude, die so in der Realität gar nicht existieren und experimentierte mit Formen und Farben.
Die Farben spielen generell eine wichtige Rolle in seinen Werken. Schneider arbeitet gern mit Kontrasten und Komplementärfarben. "Orange und Hellblau sind meine Lieblingsfarben", sagt er. Manchmal muss er sich schon zusammenreißen, um nicht wieder darauf zurückzugreifen, sondern auch mal andere Töne auszuprobieren. Manchmal denkt er sich auch die Farbe aus, bevor das Bild dazu entsteht.
In seinen jüngeren Arbeiten merkt man außerdem eine Weiterentwicklung des Architektonischen. Die Architektur bekommt da plötzlich lebendige Züge, wird figürlicher wie in dem Werk "Irgendein Gott" oder bei "Es lebt", bei dem ja auch schon der Titel suggeriert, dass es sich nicht um eine rein statische Figur handelt. Es zeigt ein abgebrochenes Hakenkreuz mit Stierhörnern, das den Nationalsozialismus als Minotauros darstellt, als Menschen fressendes und Häuser zerstörendes Wesen. Macht und Machtverhältnisse beschäftigten Schneider in vielen seinen Werken. In "Die Wut" stehen sich zwei Kontrahenten unmittelbar nah gegenüber, die kubische Form steht im Kontrast zu der fast schon organisch anmutenden Oberflächenstruktur, die wie eine Haut von Adern durchlaufen ist. Die Wut, die gerade in ihnen hochkocht, vielleicht. Was wohl passiert, wenn sie ganz oben angekommen ist? Ihre Wut ausleben können sie nicht, sind sie doch gefangen in ihrer statischen Form.
Bevor Siegmund Schneider sich an solch ein Gemälde macht, zeichnet er. Skizzen über Skizzen probiert er mit Formen herum, schaut, was funktioniert und was nicht. So lange, bis er etwas findet, wo er sagt "Das ist ein Bild". Dann erst greift er zum Pinsel. Die Skizzen sammelt er in mehreren Büchern, jedenfalls heute. Früher hat er lose Blätter auch einfach mal weggeschmissen. Damals konnte er auch mit Linoldruck noch nichts anfangen. "Mir war das zu indirekt", erklärt Schneider. Das hat sich inzwischen auch geändert. "Mittlerweile mache ich das doch ganz gerne, weil man damit so viele verschiedene Variationen machen kann. Man kann gut damit experimentieren."
Das Künstlerische, sagt Schneider, liegt bei ihm in der Familie. Sein Vater war Malermeister, die Schwester Kunstlehrerin, die andere macht Comics. Trotzdem entschied sich Siegmund Schneider nach seinem Hauptschulabschluss dazu, zunächst eine Ausbildung als Fernmeldetechniker zu machen. "Es wohnten schon immer zwei Seelen in meiner Brust", sagt Schneider. Die künstlerische und die technikbegeisterte. Irgendwann wurde er dann Beamter auf Lebenszeit. "Ich wollte das aber nicht auf Lebenszeit machen." Deswegen die Kehrtwende, weg von der Technik, hin zur Kunst. Über den zweiten Bildungsweg kam er an die Hochschule für Künste in Bremen, wo er bei Professor Jürgen Waller lernte. Auch wenn es schwierig ist, sich als freischaffender Künstler durchzuschlagen, entschied sich Schneider für diesen Weg, jobbte nebenbei in verschiedenen Stellen, um sich über Wasser zu halten. "Ich wusste einfach, dass ich das machen wollte", sagt er. Und dabei ist er bis heute geblieben.

Mächtige Formen

„Mein Kunst-Stück“ mit Siegmund Schneider und seinem Bild „Ministerium“

Syker Kreiszeitung vom 22.12.2017

Von Ilka Langkowski

Syker Kreiszeitung

BREMEN „Ministerium“ heißt Siegmund Schneiders Bild, das er in unserer Serie „Mein Kunst-Stück“ vorstellt. Im Großformat zeigt es ein architektonisches Bauwerk. Seine übergroßen Säulen und Stufen wirken imposant, faszinierend und etwas bedrohlich. Mit Öl auf Leinwand schuf der Bremer Künstler Siegmund Schneider sein farbstarkes Bild „Ministerium“. „Es sieht aus wie ein Kraftwerk oder ein sowjetisches Ministerium, so monumental“, sagt Schneider. Architektur sei ein Ausdruck von Machtästhetik. Dieses Bild ist exemplarisch für eine Reihe von großformatigen Werken, in denen Schneider architektonische und technische Formen als gewaltige Konstrukte in Szene setzt. Reduziert zu Form und Farbe, erscheinen sie monumental. Den Bremer Künstler fasziniert die Verbindung von Macht und Ästhetik sowie Schönheit und Abschreckung. Die symbolisierte Macht und Gewalt betont der Künstler durch den herabgesenkten Horizont, der den Betrachter in die Froschperspektive versetzt. Schneider unterstreicht die Kälte dieser Architektur durch sehr fein gemalte Flächen, exakte Geraden und Kurven. Die unbelebte Szenerie erscheint im Mittagslicht mit scharfen Schatten. In „Ministerium“ verwendete der Maler ein leuchtendes Orange, durchzogen von feinsten Strukturen, violetten Schatten und vor blaugrünem Grund. In anderen Bildern setzt Schneider Objekte in warmen Ockertönen vor grelles Zitronengelb oder ein bedrohliches Monument in Rosa vor babyblauen Hintergrund.

Seit Schneider mit etwa zehn Jahren ein Lexikon der Architektur in die Hand bekam, ist sie sein Steckenpferd. Ludwig Mies van der Rohe, Architekt der Moderne, hatte ihn gleich gefesselt. Mit der Malerei hat Schneider einen Weg gefunden, Architektur und Skulptur zu verbinden. „Und das deutlich kostengünstiger und mit weniger Aufwand“, sagt er lachend.

Obwohl Schneider aus einer Malerfamilie kommt und gezeichnet hat, „seit er einen Bleistift halten konnte“, wurde er Fernmeldetechniker. Der Weg zur Fachhochschule für Gestaltung führte über eine Nichtabiturientenprüfung. Heute arbeitet der Künstler auf Teilzeit und geht drei weitere volle Tage ins Atelier. „Ich betrachte es als meinen Beruf und arbeite kontinuierlich.“ Die größte Herausforderung an der Kunst ist für den Bremer das Marketing und der Verkauf der Bilder. „Am liebsten möchte ich nur vor meiner Leinwand sitzen und mit dem Rest nichts zu tun haben“, sagt er. Trotzdem gehöre das Marketing dazu. Ebenso wie der Umstand, dass man sein eigener Richter oder auch Henker sei. Dann müsse man einsehen, dass man gescheitert ist, 90-prozentige Bilder gebe es schließlich nicht. „Entweder es passt oder es muss weg.“ Ob wir Kunst brauchen? „Wenn man kein Leben führen will, das rein materialistisch ist, ja. Ich brauche Kunst, wie andere Religion brauchen. Als etwas, das über das Alltägliche hinausgeht. Es ist die Suche nach Erkenntnis. Gesellschaftlich brauchen wir Kunst unbedingt, weil man durch sie über sich selbst nachdenken kann.“

Zu den Künstlern, die für Schneider besonders bedeutend sind, zählen Gerhard Richter und der Renaissancemaler Matthias Grünewald (15./16. Jahrhundert). Richter hat für Schneider eine besondere Art, mit Farbe umzugehen. „In seinen abstrakten Bildern ist er genial. Ich habe viel von ihm gelernt.“ Und Grünewald hat für Schneider mit seinem Isenheimer Altar das stärkste erreicht, was ein Künstler erreichen kann. Sein prachtvoller, aufklappbarer Wandelaltar zeigte Bilder für die todkranken Patienten des Hospitals und Hospiz eines Klosters. Wenn Schneider jemandem ein Bild als Botschaft schicken sollte, dann ginge sein rosafarbener „Minotaurus“ an den Bundestag: „Als Mahnung vor der Wiederauferstehung des Rechtsradikalismus, während die ganze Welt durchdreht.“

 

Ausstellung in der Galerie Cornelius Hertz, Bremen1992

Einladungskarte zur Ausstellung in der Galerie Cornelius Hertz, 1992

Autor: Rainer Weisel,

im Gespraech mit  Hajo Antpöhler

Galerie Cormnelius Hertz, im Gespräch mit H. Antpöhler


Nein, diese Ausstellung wird nicht von Sony gesponsort. Einige flüchtige Blicke auf die Arbeiten des Delmenhorster Künstlers Siegmund Schneiders erwecken gegebenenfalls den Eindruck, die hier entstandenen Architekturformen seien ein Gegenentwurf zu Sir Norman Fosters vorliegender Planung im Auftrag der Daimler-Benz AG für die zukünftige Gestaltung „Deutschlands neuer Mitte“. Dem ist nicht so. Wenn Siegmund Schneider die Architektur zum fast ausschließlichen Motiv seiner Malerei erhebt, geschieht dies nicht zum Zwecke ideologischer Verwertbarkeit oder gar zur Statuisierung von Macht. Den strengen geometrischen Formen gehen eine Vielzahl von Skizzen voraus. In ihnen befragt der Künstler die Gegenstände nach ihrem Sein. Er begibt sich damit in die schwierige Auseinadersetzung des Verhältnisses von Objekt zu Subjekt. Denn ein Gegenstand, ein Objekt, steht nicht für sich selbst, sondern gegen etwas anderes. Die Konstruktionen, die dabei entstehen, weisen den Weg der Entmaterialisierung. Die Architektur ist undeutbar geworden, vom Menschen abgelöst, ihm entfremdet, verdinglicht. Sie steht nicht für Realität, sondern für Relation. Wenn wir uns in dieser Relation überhaupt noch wiederfinden, ist unser Platz bescheiden. Der Zugang zu den Bauwerken bleibt uns verschlossen. Sie sind hermetisch. Die Orientierung fällt uns schwer. In ihrer Monumentalität können sie uns erdrücken, aber eventuell auch ihren eigenen Fall herbeiführen. Die Basis, auf der sie gründen, ist in den jüngeren Arbeiten sehr schmal geworden. Und sie benötigen dann zusätzliche Träger, die den Eindruck der Fragilität noch unterstreichen. Es ist sicherlich nicht überinterpretiert, hier vom augenblicklichen Festhalten eines Schwebezustandes zu sprechen, der sich im nächsten Moment verändern kann und wird. Die fliegenden Bauten, die Siegmund Schneider von der Seite heraus in den Bildraum entwickelt, verdeutlichen dabei eine konsequente Radikalisierung in seinem Schaffen. Das wir uns bei allen Unwägbarkeiten in diese Bilder hineinbegeben werden, geht von der intuitiven Wirkung aus, die die Wahl und die Art des Auftrags der Farbe in uns erzeugen. Hier spüren wir die Emotionalität, die den Maler in der Lust auf Farbe getrieben und inspiriert hat. Wenn Siegmund Schneider sich dabei nach eigener Aussage zwischen Meditation und Ekstase bewegt hat zum Beispiel der Kaffesatz keine Chance, gelesen zu werden, – er wird als Bildträger verwendet. Oder eine Holzlatte, auf die rote Farbe aus der Tube gedrückt wird, ersetzt den Pinsel und schafft beim Abziehen auf einer gelb eingetönten Leinwand Zufallsstrukturen. Oder es entstehen leuchtende Farbflächen, die kontrastieren und dialogisieren. In der Gesamtheit spannt sich somit ein vielschichtiges Beziehungsgeflecht, dessen Anfang und auch Ende völlig offen ist. Wir sollten nicht darüber bestürzt sein, daß beim Besuch dieser Ausstellung das Vertraute stürzen kann.

Aus: Weserkurier 1992, zur Austellung in der Galerie Cornelius Hertz

Autor: Detlef Wolff

Architektur als Malerei
Der 1953 geborene Maler Siegmund Schneider kennt momentan nur ein Hauptthema: die Architektur. Allerdings entnimmt der Waller-Schüler seine Motive nicht der vollen Realität bereits vorhandener Baukomplexe. Vielmehr entwirft er Architektur als Utopie und vage Möglichkeit. Und auch das nur bedingt. Er macht auf seinen Leinwänden zum Beispiel keine Vorschläge für die Gestaltung urbaner Umwelt. Das Resultat wären kühle und wenig menschenfreundliche Städte. Indem sich vor Schneiders Bildern diese Vision einstellt, erweist sich doch ihr indirekter Bezug zur Realität. Auf den Leinwänden werden sonst überwiegend Einzelelemente von Architektur freigesetzt und zum Anlaß für Malerei genommen. Davon kann man sich bis zum 6. März in der Galerie Cornelius Hertz (Richard-Wagner-Straße 22) überzeugen.
Details sind es, die den Künstler primär interessieren. Kühn läßt er Bögen in den Raum hineinstoßen oder Träger aufeinandertreffen, ohne dabei Probleme der Statik zu berücksichtigen. Wuchtige Quader können auf dünnem Gestänge ruhen. Wichtig ist dabei zunächst nur die Geometrie der Formen. Ihr Verhältnis zueinander steht als Kompositionsaufgabe zur Lösung an. Daraus resultiert auf der folgenden Entstehungsstufe die Untersuchung von Proportionen zwischen Masse und Fläche. Auf den Leinwänden entstehen dabei im Extremfall Architekturlandschaften mit Modellcharakter. Eine Funktion wird ihnen nicht zugewiesen.
Unter den Prämissen seines Schaffens ist dieser Aspekt auch unerheblich. Denn letztlich geht es hier um Farbe: Bis zu ihrem Eintritt in die Ensembles könnten derart konzipierte Werke noch als Reißbrettzeichnungen existieren. Aber indem die monumentalen Komplexe nun als Farbkomplexe in Erscheinung treten, kommt es zu dramatischen Veränderungen ihrer Erscheinungsweise. Vor wechselnden Hintergründen können ähnlich angelegte Bilder höchst unterschiedlich wirken. Und hier macht der Begriff Farbtemperatur einen Sinn. Eindringlich wird vorgeführt, wie Farbe kühle oder warme Stimmungen erzeugen kann, Gewichte verändert, geradezu Einladungen ausspricht oder abweisende Atmosphäre erzeugt. Wobei Malen hier wiederum nicht anstreichen meint. Schneider arbeitet die Flächen sorgfältig durch. Legt Schichten übereinander, wechselt immer wieder den Pinselduktus, schafft auf engem Raum Durchbrüche, aus denen Schwingungen oder Vibrationen resultieren. Und es ist dann solche Sorgfalt im Detail, der diese Malerei in der gegenwärtigen Kunstsituation ihre Besonderheit verdankt.

Ausstellung im Haus Coburg, Delmenhorst, 1992

Aus: „Punkt“, Heft 20, September 1992

Autorin: Barbara Alms

Siegmund Schneiders Malerei hat seit Jahren nur ein Thema: die Architektur.
Großformatige leuchtende Gemälde inszenieren Architekturteile, die man schon einmal gesehen zu haben meint – trotz der Unwirklichkeit der Farbkontraste und der Bodenlosigkeit der Konstruktionen, die eher statische Unmöglichkeit darzustellen scheinen. In den frühen Architekturbildern schimmert durch, was den 1953 geborenen Künstler schon früh beschäftigte: die realen Beispiele der Architekturgeschichte, insbesondere der 20er und 30er Jahre. Inzwischen hat er so abstrahiert, daß sich auf der Leinwand die Farbwirkungen verselbstständigen und ihr emotionsgeladenes Spiel treiben. Klare Formen und Flächen rücken in eine spannungsreiche Stellung zueinander. Nicht ohne theatralisches Pathos stellt er die Frage nach Raum, Farbe Architektur und Macht gleichzeitig.

 

Eröffnungsrede zur Eröffnung der Ausstellung im Haus Coburg

Autorin: Barbara Alms

Mit dieser Doppelausstellung leistet die Städtische Galerie Delmenhorst einen Beitrag zur zeitgenössischen Diskussion um die Moderne. Im Mittelpunkt steht eine Malerei, die – so will es auf den ersten Blick scheinen – die Architekturideen des 20.Jahrhunderts im imaginären Raum der Kunst zu einer faszinierenden, von Schönheit und Schrecken bestimmten Gestalt treibt. Die Doppelausstellung folgt mit den Bildern der jungen Kunst und geht der Frage nach: Wo stehen wir am Ende des 20. Jahrhunderts, welche ästhetischen und geschichtlichen Lehren können wir ziehen, haben wir den Utopievorrat verbraucht, wie es allerorten heißt, hat die Moderne ihre humanen Ansprüche in den gesellschaftlichen Umwälzungen verloren, welche Bilder eröffnet uns die junge Kunst? Nicht umsonst entstehen diese Fragen im Spannungsfeld von Kunst und Architektur: der Kunst, die radikal und irritierend Fragen aufwirft, der Architektur, die in einem widersprüchlichen Feld unterschiedlicher Ansprüche steht, in dem sich auch politische und Machtinteressen sichtbar und repräsentativ äußern. Der öffentliche Raum, der Ort der Architektur, ist immer auch ein geistiger und politischer Raum. Hitlers Formulierung für die von ihm gewünschte monumentale Architektur: „Worte aus Stein“ spricht eine beredte Sprache. Doch die Machtarchitektur des faschistischen Deutschland mit ihrem neoklassizistischen Vokabular ist nur eine extreme Zuspitzung der Architektur als politischem Instrument. Den Zusammenhang zwischen der Politik und der Architektur des 20.Jahrhunderts stellen wir zur Diskussion. Es geht bei dieser Doppelausstellung zentral darum: die „Gesichter der Moderne“ – so hat auch Hartmut Frank seinen Vortrag angekündigt – also: die mannigfaltigen Gesichter der Moderne für einen genauen Blick jenseits vorschneller Etikettierungen, jenseits einer euphorischen Heroisierung und jenseits der modischen Verdammung, zu präsentieren. Stecken Sie die Architektur der Moderne also nicht vorschnell in die Schublade der rechteckigen Kisten und der seelenlosen Vorstädte, die übrigens vor allem in den 50er Jahren gebaut wurden und zwar da, wo man sich ästhetische Entscheidungen glaubte sparen zu können. Schauen Sie hin auf die Vieldeutigkeit der Formen und prüfen Sie den Willen zu Funktionalität und Schönheit, fragen Sie nach Mannigfaltigkeit oder erzwungener Einfachheit, nach Lebendigkeit oder Ödnis. „Architektur ist das kunstvolle, korrekte und großartige Spiel der unter dem Licht versammelten Volumen“. So heißt es in der berühmten „Mahnung“, die Le Corbusier an die „Herren Architekten“ richtete, und so können Sie es oben im Aufgang zum 2. Stockwerk lesen. Mit dem Pathos des Aufbruchs der Moderne erläutert er den universalen und den Kunstanspruch dieser Architektur; er schreibt: „Unsere Augen sind geschaffen, die Formen unter dem Licht zu sehen: Lichter und Schatten enthüllen die Formen; die Würfel, Kegel, Kugeln, Zylinder oder Pyramiden sind die großen primären Formen, die das Licht klar offenbart; ihr Bild erscheint uns rein und greifbar, eindeutig. Deshalb sind sie schöne Formen, die allerschönsten. Darüber ist sich jeder einig, das Kind, der Wilde und der Metaphysiker“. Soweit Le Corbusier.

im Atelier, 1992

im Atelier, 1992

Sind sich wirklich alle einig – so fragen wir uns heute in der Moderne -Diskussion – , worin können wir uns einig sein? Ist der Künstler einig mit jener geometrischen Welt der 20er Jahre, den Aufbruchjahren der Moderne? Im ersten Augenblick sagen wir vielleicht ja, wenn wir hier um uns schauen und die Bilder Siegmund Schneiders in klaren und eindeutigen Formen und Farben zu sprechen scheinen. Ja, scheint es nicht ganz einfach? Sprechen die Bilder nicht von Würfel, Kegel und Zylinder, grundlegenden Formen, die, wie Le Corbusier sagt, „das Licht klar offenbart“? Liegen sie nicht im gleißenden Licht einer höheren, künstlichen Sonne, der Sonne der Vernunft? Wiederholen sie nicht den soliden Glauben an Konstruktion und Geometrie und die aus ihnen erwachsene Schönheit? Hier spätestens werden wir irritiert stocken. Siegmund Schneider hat sich, seit er 13 ist, wie er sagt, mit der Architekturgeschichte der 20er und 30er Jahre beschäftigt, mit den verschiedenen Gesichtern der Moderne, aber auch mit der Machtsprache der nationalen Überhöhungen, wie sie vor allem im faschistischen Deutschland und in Italien entwickelt wurden. Eine weitere Rolle spielen die sogenannten funktionalen Bauten der 50er und 60er Jahre in ihrer unterschiedlichen Ausprägung in Ost und West. Dies alles ist schon zu Abziehbilder in unserem Kopf geworden. Siegmund Schneider läßt sich entsprechend auch von Spielzeug und Bauklötzern anregen. Es ist eine künstliche Bilderwelt, die seine Gemälde eröffnen, obsessiv vorgetragen, eine enge Motivik, ohne die Möglichkeit des Ausweichens. Gigantisch überhöhte Architekturteile ragen in einen synthetisch erleuchteten Himmel, bodenlos, von instabiler Konstruktion. Hier gibt es keine Menschen. Hier gibt es keinen Schmuck, keine Öffnungen im Stein, keine Türen und Fenster. Während Sie im Raum mit den frühen Arbeiten noch stark zeichnerische Darstellungen sehen, Fundamente und Sockel, die noch die Vorstellung eines fest gegründeten Baus nahelegen, die Darstellung dem architektonischen Denken noch sehr nahe ist, entbehren die Architekturfragmente der letzten Jahre dieser Grundlegung. Sie verlieren selbst die Fiktion eines Ganzen. Sie sind Fragment. Sie sind ohne Zusammenhang und Rechtfertigung. Sie entbehren der konstruktiven Logik und der Rationalität der perspektivischen Zeichnung. Was die Farbigkeit angeht, so ist die Tendenz zu beobachten, reine Farben zum Leuchten zu bringen. Ihre Wirkkraft wird durch die scharfen Kontraste ins kaum Erträgliche gesteigert. Der mehrfache Farbauftrag gibt den Farbflächen Tiefe bis hin zu einem welträumlichen Vibrieren. Trotz der Einfachheit der Formen und Flächen also: von Ruhe keine Spur. Im Gegenteil: von den Bildern geht eine große Beunruhigung aus. Denn bei genauem Hinsehen wird deutlich: Was als Raum, als Dreidimensionalität angelegt schien, schlägt bestürzend in Fläche um, d.h. der Raum vernichtet sich in die Fläche. Es ist ein hochbrisantes, bedrückend kalkuliertes Spiel zwischen Konstruktion und ihrer Zerstörung. Die Architektur in ihrer malerischen Schönheit hat alle Zeichen des Schreckens an sich. Die gesteigerte Form verselbstständigt sich, wächst babylonisch in den Himmel, hat Rationalität und Humanität verloren. Schwarz ist die radikalste Farbe. Seit dem schwarzen Quadrat von Malewitsch durchzieht das Schwarz das 20.Jahrhundert, als Meditationsfarbe und als Farbe der Zerstörung und des Nichts. Das Schwarz ist Ausdruck der äußersten Abwendung von der Zerstreuung durch die bunten Reize der Welt. In Siegmund Schneiders schwarzen Übermalungen wird ein vernichtendes Resümee gezogen. Ich habe eben von Realität und Humanität gesprochen. Das waren nun allerdings die Ansprüche, mit denen die Architektur der Moderne angetreten war. Davon ist in den Bildern Siegmund Schneiders nichts mehr zu spüren. Weit mehr, wenn auch nur noch bruchstückhaft und wie zerbrochen, aber um so aberwitziger triumphierend, erinnern die Architekturteile an die Repräsentationsbauten und Dekorationen der Aufmarschplätze des Faschismus. Sie erinnern weiterhin an die futuristische Architekturentwürfe eines SàntElias, seine pathetisch vorgetragenen Bilder der Città Nova und des „italienischen Stolzes“. Und es meldet sich in ihnen der grundlegende Zweifel an der Moderne, die in den reinen Formalismus entglitten war, die Achse und die Symmetrie zum Totschlaginstrument gemacht und die geometrischen Formen, ohne hinzuschauen, für gut erklärt hat. Wo sie zum ästhetischen Spiel nicht mehr fähig waren, begegnen sich die feindlichen Geschwister. Wie der namhafteste Architekturmaler des 20.Jahrhunderts, Giorgio deChirico, – und mit diesem Hinweis möchte ich schließen – wie deChirico aktualisiert Schneider „eine unsinnige und gefährliche Schönheit“ (deChirico). Aber während de die Symbole der Entleerung noch auf seine steinernen und einsamen Plätze verortete, ist für Siegmund Schneider aller Zusammenhang unterbrochen. DeChirico konnte noch von einer „metaphysischen Kunst“ sprechen, er konnte also noch universale Entwürfe für sich in Anspruch nehmen. Siegmund Schneider wiederholt obsessiv Bildfragmente einer nur noch künstlichen Welt, die, monumental geworden, alle Mannigfaltigkeit und Lebendigkeit, alle Humanität und den Bezug zum Universalen verloren hat. Kunst ist nicht, wie das in der „Erlebnisgesellschaft“ manchmal erscheint, der Ort des widerstandslosen Genusses oder der Bilder von einer heilen, humanen und sozialen Welt. Wir müssen uns auf einen Weg ins Unerklärliche machen, und wir können das Rätselhafte und Irritierende nur umschreiben, das die grundlegende Qualität der Kunst ist.

Aus: Weserkurier, 1992, zur Ausstellung im Haus Coburg

Autor: Nils Aschenbeck

Die Schrecken, die in der modernen Architektur überall lauern, will der Künstler Siegmund Schneider offenlegen. Seine großformatigen Arbeiten werden im Haus Coburg parallel zu den Fotografien gezeigt.
Der 1953 in Delmenhorst geborene Schneider hat sich in den letzten Jahren vor allem mit der monumentalen Darstellung von Architekturelementen beschäftigt. Seine Bilder erinnern an faschistische Großbauten oder an futuristische Entwürfe. Doch seine Konstruktionen besitzen keine Logik. An keiner Straße der Welt sind die Teile, die von einer künstlichen Sonne beschieden werden, zu Hause; und doch – sie sind uns wohlbekannt, sie erzeugen in jeder deutschen Vorstadt ein bestürzendes Déjà-vu.
Die Elemente der Moderne werden von Schneider isoliert, ihre brutale Kraft wird bloßgelegt. Alle Baudetails, die auf das Leben verweisen – Fenster, Schmuckelemente oder Briefkästen – läßt der Künstler beiseite. Für ihn sind Bauwerke gesichtslose Ungetüme, deren Wirkung den Betrachter in den Bann zieht und gleichzeitig abstößt. Er kann sich auf Le Corbusier berufen, der bereits 1923 schrieb: “Architektur ist das kunstvolle, korrekte und großartige Spiel der unter dem Licht versammelten Volumen”. Eine Aussage, die wie ein Leitspruch über dem Treppenaufgang der Galerie prangt.
Siegmund Schneider ist ein Schüler der Moderne. Doch die ästhetischen Dogmen eines Le Corbusier führt er auf ihren zynischen Kern, bereinigt von allen Utopien. Dazu benutzt er grelle Farben, die unvermittelt aufeinandertreffen. Er überspitzt Perspektiven und verzichtet auf Horizonte. Auch die Dreidimensionalität der Elemente fällt zurück in eine monotone Flächigkeit. Seine Arbeiten reduzieren die moderne Architektur auf eine interne Logik: Hinter der Schönheit lauert der Schrecken. Hinter dem eleganten Kubus lauert die zeit- und ortlose Profanität der ewig gleichen Fläche.

Aus: Delmenhorster Kreisblatt, 1992, zur Ausstellung im Haus Coburg

Autor: Karl-Heinz Montag, Delmenhorst.

Variationsprinzip des Legosteins
Schneiders Fließbandproduktion und eine klug gewählte Fotoschau

Immer, wenn Galeristin Barbara Alms zur großen Predigt über die Moderne ansetzt, ist bei Skeptikern Vorsicht geboten, in wieweit das, was in der Städtischen Galerie als gewollt provokante, zeitkritische Reibung ausgehängt wird, auch wirklich mehr bietet als einen schnell konsumierbaren Side-step in die Avantgarde. Dabei werden oft Teilansichten aufgefächert, die deutlich machen, das diese moderne Malerei tatsächlich längst ihren „Utopievorrat** (Alms) verbraucht hat und am Ende ihres Weges in die flächige, fließbandmäßig produzierte Langeweile angelangt zu sein scheint.
Die aktuelle Doppelausstellung im Haus Coburg mit großformatigen Werken von Siegmund Schneider, Delmenhorster Stadtstipendiat 1991/92 und gerade zum Macher des neuen Jahresplakates mit dem bezeichnenden Titel „Legoland avanciert -und die kleine, aber umso sehenswertere Auswahl von Architekturfotos der 30er Jahre, hinterläßt in ihrem bewußten Kontrast einen eher faden Nachgeschmack. Auch wenn die kritische Auseinandersetzung mit Schneiders bunter Bilderflut lohnt, die Lust auf Kunst bleibt gering.
Schneider versucht seit Jahren, architektonische Formen zu vereinfachen, auf das absolute Mindestmaß zu reduzieren, um damit neue Wirkungen zu erzielen. Eine obskure, monumentale Mischung aus Schrecken und Schönheit soll dem Betrachter Radikalität vorgaukeln. Dabei ist nur die Künstlichkeit dieser „Bilderwelt“ radikal inszeniert: Grelle, kräftige Farben und gigantische Fragmente wie Fundamente, Sockel, Säulenreste und. andere geometrisch exakt konstruierte Körper beherrschen die Bildinhalte. Schneiders Form-Reduktionen haben monströsen Charakter, der massive Farbeinsatz beansprucht zusätzlich dass Auge. Versöhnlich in manchen Bildern der mehrfache Auftrag, der bisweilen zu herrlicher Leuchtkraft führt.
Doch dieser Aspekt kann den Eindruck von Gefälligkeit, Glätte, eisiger Kälte nicht wegfärben. Schneiders strenge Werke bieten menschenleere Szenarien, bestens geeignet für das durchgestylte Chefbüro in einem Wolkenkratzer. Sehr dekorativ, Macht ausstrahlend und trotz der kräftigen Farbkontraste synthetisch und menschen-verachtend in der Wirkung. Too much, einfach zuviel.
Der 38jährige Künstler will scheinbar diese Schaffensperiode beenden. Diesen Ein-druck vermitteln die grau-schwarzen Exponate. Hier wird seine endzeitliche Reduzierungsvorstellung mit zerstörerischer Verachtung punktgenau formuliert. Ein Abschied von einer ausgiebig angewandten Methode?
Teil zwei der Coburg-Ausstellung ist der Modernen Architektur mit Schwerpunkts auf den 20er und 30er Jahren gewidmet. Aus der Sammlung des jungen Nümbergers Peter Gössel (auch zuständig für die Konzeption des Industriemuseums) wurde eine
Foto-Reihe zusammengestellt, die funktionale Bauwerke wie Wohnhäuser, Fabriken und andere Zweckbauten von Architekten wie Le Corbusier, Gropius und Aalto unverstellt mit ihren negativen wie positiven Begleiterscheinungen wieder in den Blick rückt. Die kalte Größe und die klare Funktionalität blendet, fasziniert und erschreckt zugleich.
Gössels Plädoyer für diese variantenreiche Baukultur bei der Eröffnung brachte diese Aspekte voll zum tragen. In der Foto-Auswahl befinden sich neben amerika-nischen Repräsentativbauten und Bauhaus-Klassikern auch „Machwerke“ des Dritten Reiches, so das Haus der Deutschen Kunst (München, 1937) und die Deutschland-Halle (Berlin, 1936), die dem menschenverachtenden Größenwahn das Wort redet, Aber auch die gezeigten Wohnsilos aus späterer Zeit, montiert im fragwürdigen Fertigteil-Konformismus, weisen mit ihrem sozialen Sprengstoff ebenfalls in eine inhumane Richtung.

Aus: TAZ Bremen, 1992

Faschismus bzw. Avantgarde
In Delmenhorst: Eine sehr irritierende Ausstellung über die Architektur der Moderne

War die Architektur des Faschismus die notwendige Fortentwicklung der großartigen Baukunst der Moderne? Oder war die neoklassizistische Beeindruckungsarchitektur eines Paul Ludwig Troost oder Albert Speer eine Fehlentwicklung der Bauhaus-Avantgarde. die sich ja der Rationalität und Humanität verschrieben hatte?
Verwirrt und nachdenklich verläßt man die Städtische Galerie Delmenhorst, die dieser Tage zu einer sehenswerten und klug komponierten Doppelausstellung einladt. Zum einen werden historische Fotos zur Architektur der Moderne (Sammlung Gössel) gezeigt. Und dazu präsentiert die Galerie einen Sohn und Stipendiaten der Kreisstadt namens Siegmund Schneider, der sich mit den Mitteln der Malerei seit vielen Jahren mit Architektur beschäftigt.
Siegmund Schneider bewundert die kalte Ordnung der Architektur von Gropius. Le Corbusier. Hans Scharoun — und kritisiert sie zugleich. Er ist. so scheint es, auf der Suche nach der Idee der Moderne, ihrer Substanz, und stößt immer wieder auf die schöne, böse. menschenfeindliche Form als Resultat der Arroganz der Macht. Große Leinwände bearbeitet er mit reinen Farben, gern komplementär gegenübergestellt. Die Farbkontraste. schmerzhaft fürs Auge. bestimmen das Bild von synthetischen Stadtlandschaften: extrem fluchtende Gebäudekanten haben eine stark räumliche Wirkung, die aber durch „falsches" Licht und „unmögliche" Proportionen immer wieder destruiert wird.
Schneider ästhetisiert auf Teufel komm raus — und der Teufel ist die gesichtslose Macht, die diesen Stadtlandschaften alles Lebendige austreibt. Selbst sehr malerische Teile seiner Bilder, die scharf gegen die anderen monochromen Flächen abgesetzt sind. wirken nur wie Dekor: seelenlos.
Steigt man der Galerie unters Dach, ist man plötzlich in einer ganz nüchternen Ausstellung kleinformatiger Fotos, die es einem nicht leicht macht. Der Nürnberger Gestalter und Ar-chilekturhistoriker Peter Gössel hat zum Thema „Um 1930" Bilder zur Verfügunggestellt.diean die architektonische Formen-Sprache der vor-postmodemen Zeit seit dem Bauhaus erinnern. Da sind Fotos von Privathäusern, „Ikonen der Moderne", etwa eines Mies van der Rohe oder Le Corbusier. Als Beispiele für einen internationalen Stil werden Wolkenkratzer aus des USA gezeigt. Daneben, unauffällig eingereiht, Architektur des italienischen und deutschen Faschismus. aus Mailand, Berlin, München. Bezüge, die zu denken geben, wie auch der Beitrag von Ford/USA für die Weltausstellung 1939: ein gewalttätiger Tempel der Macht, mit einer theatralischen Lichtregie ausgeleuchtet, die für jeden Reichsparteitag gut gewesen wäre.
Eine überaus beunruhigende Ausstellung, die einen etwa vorhandenen Begriff von „faschistischer Ästhetik" nachdrücklich irritiert.
Die Würfel, Kegel, Kugeln, Zylinder oder die Pyramiden sind die großen primären Formen, die das Licht klar offenbart! ihr Bild erscheint uns rein und greiftar, eindeutig. Deshalb sind sie schöne Formen, die allerschönsten. Darüber ist sich jeder einig, das Kind, der Wilde und der Metaphvsiker, postulierte Le Corbusier.
Die strenge Linie im Bauen der Gegenwart hat einen Sinn, der durch keine Ablehnung der Sachlichkeit aus der Welt zu schaffen ist: sie steht in enger Verbindung mit der straffen willensmäßigen Bearbeitung der Wirklichkeit, die dem heute lebenden Geschlecht zur Pflicht geworden ist. Ein Projekt für tausend Jahre. Der letzte Satz stammt von Wilhelm Michel, einem Architekturkritiker, 1934 geschrieben. Bis bis zum 25.10.

Ausstellung "Malmaison" im Kunstverein Ganderkesse, 1991, mit Sabine Hartung

im Kunstverein Ganderkesee, 1991

im Kunstverein Ganderkesee, 1991

Aus: „Punkt“, Heft 14, März 1991

Autor: Ute Ocasek-Fürg

Siegmund Schneiders großformatige Bilder sind auf den ersten Blick bestimmt von Motiven, die an Architektur der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erinnern. Die Konzentration auf Kolossales und Kultisches dieser Zeit erfolgt durch das Aussparen dessen, was auf die Bewohnbarkeit/Benutzbarkeit durch Menschen hinweist. Die Ge- und Verschlossenheit der wie Skulpturen erscheinenden Gebäude wird durch eine differenzierte Farbgebung unterstützt. Leuchtende und matte, ungebrochene Farbe und solche, die erst durch das Zusammenschauen verschiedener Nuancen vor dem Auge entsteht, unterstützt die Illusion von Gebautem, läßt es aber gleichzeitig ganz unwirklich erscheinen. Da die Farbflächen gegeneinander abgegrenzt sind (manchmal sogar durch aufgesetzte Linien), kommt dem Betrachter bei näherem Hinschauen eine Reihe von Einzelbildern entgegen, jedes von ihnen ist höchst sensibel durchgestaltet. Die bildnerischen Möglichkeiten: Architektur, Bildhauerrei und Malerei werden vom Künstler bedacht, und sie erscheinen miteinander verknüpft, gleichzeitig in jeder einzelnen Arbeit. Ein solches Vorgehen weist über bildnerisches Handeln hinaus und läßt die Möglichkeit von Vernetzung in andere Bereiche aufkommen.

 

Rede zur Eröffnung der Ausstellung "Malmaison"
im Kunstverein Ganderkesee am 13.04.91

Autor: Robert Harnischmacher

Meine Damen und Herren,
ich muß gestehen: Ich finde, das Reprtoire an Bildthemen, das uns Siegmund Schneider und Frau Hartung hier präsentieren, ist äußerst dürftig. Allenfalls zwei Sujets lassen sich ausmachen: die Rosensammlung von Frau Hartung und die kubischen Formen - Bauklötze, Architektur - von Siegmund Schneider. Von einer überbordenden Phantasie, die uns hier entgegenströmt, kann unter solchen Umständen kaum die Rede sein. Doch als wollten die beiden uns für diesen Mangel an Vielfalt entschädigen, haben sie ihre spärlichen Bildangebote in üppige Farbkompositionen getaucht. Bei Frau Hartung finden sie sich in einer ins Unendliche reichenden Vervielfältigung von Rosenblüten, während uns Siegmund Schneider mit großen Formaten überfällt.
Der Speicher, auf dem wir uns hier befinden, scheint mir der ideale Ausstellungsort für das Oeuvre der beiden, und zwar aus folgendem Grund: Es ist kaum ein größerer Gegensatz denkbar als der zwischen der Wärme dieses farblosen, balkendurchzogenen Dachbodens und der kühlen Gegenstandsarmut der ins Blickfeld gerückten, leuchtenden Gemälde. Am krassesten deutlich wird dieser Gegensatz in den Werken Siegmund Schneiders, weil sie das zum Thema machen, worin sie selbst erst eine Bedeutung erlangen können: in belebten Gebäuden. Dabei zeigt uns Schneider seine Architektur in so leblosem, unbewohntem Zustand, wie es nur sein kann: monomanisch stehen seine Prachtbauten da, mit ornamentloser Fassade, ohne Türen und Blumenbänke, oft sogar ohne Fenster. Es gibt keine Vorgärten und Straßenschilder, keine Zeichen menschlichen Lebens. Die Raumfluchten springen, wenn überhaupt, fast ansatzlos aus dem unteren Bildrand und treffen sich im Nichts des Horizonts mit dem Firmament, das so erleuchtet ist, als wären die Atomkriege schon darüber hinweggefegt.
Bestenfalls scheinen uns diese Monumente der Baukunst an die verblichenen Zeiten antiker Tempel zu erinnern, öfters jedoch an das Menschenfeindliche von intergalaktischen Raumstationen, realsozialistischen Alexanderplätzen oder an den faschistoiden Glanz Nümberger Reichsparteitagsgelände. Doch Siegmund Schneider hat unser Erinnerungsvermögen einkalkuliert. Er rechnet damit, daß wir erschreckt zurücktreten und uns fragen: Wird hier nicht die I.eblosigkeit größenwähnsinniger Architektur zelebriert? - Dabei mag sich Schneider insgeheim ins Fäustchen lachen: Hat er uns denn nahegelegt, in seinen Gebäuden einen Hort menschliche Zuasammenlebens zu sehen? - Mitnichten!
Er hat seine kubischen Formen ja gerade aus dem Chaos der städtischen Ballungsgebiete herausgerissen und aufs künstliche, eben künstlerische Plateau der Leinwand gestellt. Damit entzieht er uns alle Wertorientierungen, die wir fürs Befinden über Architektur mitbringen. Er weiß genau, daß uns erst das Eingefügtsein der Bauformen in die reale l.andschaft, diese permanente Kompromißhaftigkeit und also Relativität aller Architektur, in den Stand setzt, unser Urteil über sie zu fällen.
Damit komme ich zurück auf das erschreckte Zurücktretenvor den Gemälden dieser Monumentalarchitektur, die wir zumindest in Teilen als historisch unheilvoll erinnem. Dieses Eschecken ist das präzise Zeichen unserer Desorientierung: Denn irgendwie ziehen uns diese Bilder doch auch magisch an. Ihre perspektivische Komposition und ihre überaus feine Farbgebung erzeugen eine Suggestion, der wir uns nicht entziehen können. Mir kommt es so vor, als wäre uns mit Schneider ein neuer deChirico der konzeptionellen Malerei auf der Kunstbühne erschienen. Seine Bilder haben die Strahlkraft von de Chiricos italienischen Plätzen, doch ihm gelingt das Kunststück, diese lntensität entstehen zu lassen ohne die für de Chirico zentralen Metaphern: ohne die tiefe Perspektive, den harten Schlagschatten, die Skulptur auf dem Platze und nicht zuletzt ohne den winzigen Menschen, wie er in der Weite des Raumes daherflaniert. Schneider läßt seine Architekturwelten - dies kann werkgeschichtlich nachvollzogen werden - in zunehmend entleerten Kompositionen entstehen. Sie erscheinen inzwischen fast vollständig gereinigt von allen chaotischen Zusammenballungen und Beiläufigkeiten - und damit sind sie zugleich gereinigt von allen Zutaten, aufgrund derer uns eine Verwechslung des Gemalten mit dem, was wir für bare Realität nehmen, unterlaufen könnte.
Wo die kubistische Architekturmalerei, allen voran der frühe Picasso, nochein Ensemble von städtischen Bauformen zu Darstellung brachte, reduziert Schneider die Faszination am Bauwerk bis auf den Null-Punkt der gegenständlichen Form, bis auf den einsam prunkenden Solitär. Schneider löst damit in anderer Form ein, was Picasso in späteren Jahren einmal in folgenden Worten für sich reklamiert hat: "Früher näherten sich die Bilder ihrer Vollendung in Etappen ... Ein Bild pflegte eine Summe von Ergänzungen zu sein. Bei mir ist ein Bild eine Summe von Zerstörung ... Doch zu guter letzt ist nichts verlorengegangen." Was Picasso "Zerstörung" nennt, ist bei Schneider die Verbannung aller beiläufigen Umwelt des Baukörpers sowie seiner konstruktiven Ausgestaltung.
Als gelemter Fernmeldetechniker versteht Schneider sein Handwerk in doppeltem Sinne: Er weiß zum einen, daß seine Gebäude nur dann ihre ungestörte Wirkung entfalten können, wenn sie sich nicht kümmem müssen um die Grenzen ihrer handwerklichen Realisierbarkeit. Bei ihnen waren keine lnstalllateure, Schreiner, Poliere und Landschaftsgärtner am Werk. Auch Bauanträge und Ausschreibungen sind für Siegmund Schneiders Monumente nicht vorgesehen. Es ist, als wollte Schneider uns ständig zurufen: Denkt daran, dies ist nicht gebaut, sondem gemalt worden! Also keine Angst - ihr dürft ruhig Gefallen finden an meinen Entwürfen. - Zum anderen schafft Schneider es mit der ihm eigenen, unglaublichen Virtuosität im malerischen Handwerk, seinen Bildern eine Materialität zu verleihen, die so intensiv ausatmet, als ob die Stahlbahnen und die Abdrücke der Betonschälungen direkt auf der l.einwand eingebrannt wären.
Wenn wir uns die Doppelgesichtigkeit in Siegmund Schneiders Architekturgemälden erspüren - das manchmal Menschenabweisende der monumentalen Bauformen in Widerspruch zu ihrer ästhetischen Anziehungskraft -, dann entfaltet sich uns ihre eigentümliche Aura. Sie lebt, um mit Walter Benjamin zu sprechen, in der "einmaligen Escheinung einer Ferne, so nah sie sein mag".

Aus: Ausstellungskatalog zur Ausstellung "Malmaison" im Kunstverein Ganderkesse

Autor: Rainer Weisel

SIEGMUND SCHNEIDER
Form, Fläche, Farbe, Struktur kennzeichnen das künstlerische Werk von Siegmund Schneider. Sie sind die bestimmenden Elemente im Anliegen des Künstlers, in und mit seiner Malerei alle vorhandenen und neu zu entdeckenden Fähigkeiten als Mittel der Erkenntnisfindung einzusetzen. Dies erfordert vor allem, daß der augenblicklich beobachtete Zustand eines Systems nicht als der Zustand des Systems als ganzes begriffen, sondern daß er als bloß augenblickliches beschrieben wird.
Somit ist das Arbeitsergebnis nur begrenzt voraussehbar. Es ist stark von den Ausgangsbedingungen abhängig. In der Farbwahl und in der Art der Verarbeitung erfährt vor allem die emotionale Befindlichkeit des Künstlers Ausdruck. Zum Beispiel trägt er Farbe ungleichmäßig auf die Leinwand und übermalt sie mit Weiß, bis ein hell-milchiger Hintergrund entsteht. Das Einsetzen einer Malerrolle bringt farbige Flächen hervor. Eine Holzlatte, auf die rote Farbe aus der Tube gedrückt wurde, schafft beim Abziehen auf der gelb eingefärbten Leinwand Zufallsstrukturen. Den unterschiedlichen Arbeitsweisen liegt die Möglichkeit permanenter Veränderungen im Schaffensprozeß inne. Meditation und Ekstase markieren dabei Polaritäten, zwischen denen und über die hinaus sich der Künstler bewegt. Siegmund Schneider bereitet den Bildraum ungegenständlich auf, bevor er ihn durch malerische Strategie in gegenständliche Malerei verwandelt. Dann treten strenge geometrische Formeen in das Bild. Sie sind Ergebnisse unzähliger Skizzen, in denen ein Problem aus unterschiedlichen Richtungen methodisch befragt wurde. Linear – auf der Suche nach dem kleinsten unteilbaren. Zweidimensional – im Untersuchen von Wechselwirkungen. Dreidimensional – im Vernetzen von Systemen, die nicht miteinander in Verbindung zu stehen scheinen.
Die dabei entstehenden Architekturformen können sehr wohl als Symbole einer höheren Realität verstanden werden. Die Architektur ist zum Ding, zum undeutbaren Gegenstand geworden, das heißt vom Menschen, der sie einmal geschaffen hatte, abgelöst, abgetrennt, ihm entfremdet, verdinglicht. Im spezifischen Gebrauch der Geometrie, im Umgang mit der Perspektive und mathematischen Proportionen wird die inhaltliche Fremdheit der Konstruktionen betont. Unterschiedliche Malweisen und das Verwenden leuchtender Farben, die oftmals aggressiv kontrastieren, steigern und überhöhen diese Wahrnehmung noch. Dennoch sind wir den Arbeiten auf rätselhafte Weise weiterhin verbunden. Sie wirken auf uns faszinierend und unheimlich zugleich. Verstärkt wird dieser Eindruck durch das Hermetische der dargestellten Bauwerke. Wir können uns als Suchende weder in sie hinein noch aus ihnen heraus begeben. Auch Vorder- und Hintergründe ge-ben uns nur bedingt Hinweise. Sie halten vor allem eine Leere fest, auch wenn einzelne Gegenstände gleichsam als Träger oder Akteure einer chiffrierten, undurchschaubaren Handlung auftreten und sich zwischen ihnen unerklärliche Beziehungen entspannen. Wir mögen dabei die Orientierung verlieren, ja sogar ortlos erscheinen. Der Versuch, in eine naturalistische Form zu entfliehen, scheitert. Wir können uns den Arbeiten Siegmund Schneiders entziehen, ließen damit aber die angebotene Möglichkeit aus, der stets veränderlichen Wahrheit unserer Existenz näherzukommen. Ich plädiere für die Annahme derselben.

Aus: Delmenhorster Kreisblatt", 1991

Autor: Karl-Heinz Montag

Farbenprächtige Malmaison
Kunstverein Ganderkesee: "Bauklötze und Rosen" in der Försterei

Ganderkesee. Malsaison in der idyllisch gelegenen Ganderkeseer Malmaison: Rosen für die Damen, Rosen für die Herren! Der Kunstverein Ganderkesee weiß, was er Künstlern und Gästen bei einer Ausstellungs-Eröffnung schuldig ist. In der Grüppenbührener „Försterei 11" kommt der dornenreichen Naturgabe sogar doppelte Bedeutung zu: Denn neben kubischer Architektur-Malerei des Delmenhorsters Siegmund Schneider sind seit Sonnabend großformatige Rosen-Motive von Sabine Härtung (Offenbach) auf dem kahlen, aber' faszinierenden Dachboden des Ausstellungsforums zu sehen.
Für die farbenprächtigen Exponate ist der balkendurchzogene Speicher ein kontrastreiches Terrain, wie nicht nur der Frankfurter Fotograf Robert Hamischmacher angesichts der "kühlen" Atmosphäre als Eröffnungsredner seinen ersten Eindruck treffend formulierte. Schneiders "Prachtbauten" und Hartungs „Rosensammlung" korrespondieren in ihrer leuchtenden Intensität mit dem vorherrschenden Grau und Weiß des Försterei-Ambientes.
Schneiders Betonklötze sind mit brutaler Härte in die Welt hineinkonstruierte Refugien unmenschlicher Kälte. Der Vergleich mit galaktischen Raumkreuzern aus Science-Fiction-Filmen, realexistierenden DDR-Prunkbauten und der nationalsozialistischen ReichsparteitagsrArchitektur ist durchaus angebracht. Die ausufernde Wolkenkratzer-Ästhetik durchbricht alle Gesetze humanen Lebens. Schneiders Monumente faszinieren durch ihre formschöne, wenn auch abweisend-inhaltlose Unbewohnbarkeit. Gleichzeitig konfrontieren sie den Betrachter mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft großstädtischen Lebens, das dem Größenwahn gewaltiger Architektur-Komplexe allzu gern huldigt.
Sabine Hartungs Rosen-Kreationen führen den Ausstellungs-Besucher dagegen in Malerei-Welten. die die „Wirklichkeit übertreffen", wie die 1965 geborene Künstlerin selbst ihre Motivation beschreibt Mit Titeln wie "Pink Perfect", "Rouge Royal" und „Sugarfree" umschreibt Härtung ihre Serienproduktion einer Blütenpracht, die im krassen Gegensatz zur städtebaulichen Häßlichkeit ihrer Heimstadt Offenbach am Main stehen.
Sabine Härtung verzichtet in ihren quadratischen Rosenbildern auf Stiele, Blätter und Domen. Nur die Blüte interessiert. Die ROSE als Symbol der Schönheit, Liebe und Tugend. Der Betrachter darf in kräftige Farben wie Ziegelrot, Flammrot und Zyklamrot eintauchen. Visueller Duft ist garantiert.
Daß Ausstellung-Duett von Sabine Härtung und Siegmund Schneider ist bis zum 19. Mai in der Försterei 11 zu sehen. Öffnungszeiten jeweils Dienstag und Donnerstag von 17 bis 19 Uhr, Sonntag von 15 bis 18 Uhr. Ein gelungener "Malmaison"-Katalog ist vor Ort erhältlich.
Karl-Heinz Montag


Aus: Delmenhorster Kurier 1991

Einmal mehr Überraschungskunst geboten
„Malmaison“ mit Sabine Hartung und Siegmund Schneider in der Alten Försterei


Ganderkesee (me). Die Ausstellung mit dem Titel „Malmaison" ist insofern keine Ausnahme, denn schon von Anbeginn bemühte sich der Ganderkeseer Kunstverein um eine andere Art von Kunst als sie bislang in etablierten Einrichtungen zu sehen war. Die Angesprochenen quittierten die Konfrontation mit Visionen und Utopien, mit Klang- und Farbkompositionen sowie flexiblen Installationen in dem großen lichtdurchfluteten Speicher der Alten Försterei in Gruppenbühren stets mit zahlreichem Erscheinen. Das Interesse an der Überraschungskunst ist also groß geblieben, auch wenn sich die immer wieder verblüffenden Darbietungen dem kritischen Betrachter nicht so schnell erschließen.
Darum hatten die Verantwortlichen der neuen Ausstellung auch einen gut vorbereiteten Gast geladen, der sich als Phüosophiestudent in das Oevre von Sabine Härtung und Siegmund Schneider mit überzeugender Interpretation vertieft hatte. Seine Uberlegungen zu den Absichten und möglichen Effekten der Bildeinfälle trugen dann auch zur Förderung der Sensibilität jener Gäste bei, die nicht zum unmittelbaren Freundes- und Verehrerkreis der Aussteller gehörten. »Malmaison" - so lautet der nach Mai und Blumen duftende und blühende Titel dieser neuen Ausstellung, die mit großen Pop- und Bildrosen von Susanne Hartung und den Gast zunächst mit einer romantischen Aura umhüllt. Dabei ist es immer der gleiche Blütenkelch, der sich rot und rosa, gelb und orange darbietet, einladend, verführerisch, doch zugleich von seltsamer Kühle und Starre. In eine Schablone gepreßt ist das Sujet, und die Distanz dieser kühlen, vornehmen und hochgezüchteten Blumengattung in ihrer vielfältigen Symbolgehalt verwundert und verwirrt. Robert Harnischmacher sprach den meisten Zuhörern aus dem Herzen, als er die Monotonie der Rosenbilder zunächst im Raum stellen ließ, sozusagen als unabänderliche Vorgabe. Aber dann bot er im Namen der Malerin doch die zahlreichen Interpretations- und Assoziationsmöglichkeiten zu diesen gleichsam explodierenden Blüten dar und überließ es den Betrachtern, aus dem Überangebot zu wählen, was er wollte. Jedem seine Farben, Rosenvision. Ob allein die Sattheit der Farben und die Größe der sich umeinander windenden Blütenblätter allerdings die starren Schönen zum Leben erwecken kann? Für manche bleiben sie, was bereits Gertrude Stein, viel zitiert, zur einzigen Wahrheit erhoben hat: schön um ihrer selbst willen, denn „eine Rose ist eben eine Rose ist eben eine Rose ..."
Siegmund Schneider, gelernter Fermeldetechniker und Absolvent der Hochschule für Kunst- und Musik in Bremen, ist in Delmenhorst mittlerweile kein Unbekannter mehr. Durch verschiedene Ausstellungen und als Gestalter der OLB-Fassade hat Schneider mittlerweile einen festen Platz in der hiesigen Künstlergemeinde. sein Angebot nun ist weitaus schwerer zu erschließen als das seiner Rosen-Kollegin. Der distanzierte, gleichwohl emotional-gesellschaftskritische Schneider wirbt mit einer kühlen kubistischen Architektur, mit geometrischen Formen, die fenster- und türlos als reine ästhetisierende Objekte in eine große farbige Bildfläche ragen. Auch seine Bilder bieten zugleich Nähe und Distanz an: Nähe durch die ruhige, ausgeglichene Komposition, in der Formen und Flächen feste, gesetzmäßig verankerte Grundelemente darstellen, an die man sich halten kann. Auch die farblichen Kompositionen, Zusammenspiel und Gegensatz, zeugen von einem ebenso vitalen wie empfindsamen Farbempfinden. Die Kühle liegt hier in den sich selbst genügenden geometrischen Formen. Wie Sabine Härtung stets dieselbe Rose vorgibt, stellt sich auch Schneider mit den stets gleichen geometrischen Formen und Flächen dar. Er verzichtet bewußt auf Leben, Lebendigkeit durch inhaltliche Fülle. Alle Formen streben vom unteren Bildrand zum oberen, stehen auf einem festen Fundament und erinnern an kindliche Turmspiele mit Bauklötzchen, die mit Jubel umgestoßen werden, wenn sie hoch in den Himmel geschossen sind. Schneiders Türme aber scheinen für die Ewigkeit gebaut, sie zeigen - vielleicht - die seelenlose gigantische Architektur eines Jahr hunderts, das funktional und technisch denkt, in dem verwaltet, registriert und konsumiert wird, in dem Gefühle und Natur nur noch einen fest zugewiesenen Platz haben. Rot und Orange sind glühende, aufschreiende Farben. Im Kontrast dazu das stechende Stahlblau und Gelb eines Himmels. Aber daneben setzt Schneider auch in sich ruhende, harmonische Farbkompositionen, in denen warme Töne überwiegen. Es ist also nicht nur die politische Variante, die hier gespielt wird, es taucht die Vision eines griechischen Tempels auf, als Bühnenbild vielleicht geeignet, als Andeutung eines gestalterischen Elementes, das sich neuen Funktionen öffnet.
Die Ausstellung ist mit einem kostbaren Katalog versehen, dessen Geldgebern der Vorsitzende des Kunstvereins zu Beginn der Ausstellungseröffnung herzlich dankte. Die Arbeiten von Hartung/Schneider sind bis zum 19. Mai in der Alten Försterei in Grüppenbühren zu sehen.

Ausstellung im Haus am Wasser, Bremen-Vegesack Januar1991

Aus dem Ausstellungskatalog Malmaison

Ausstellung Haus am Wasser

Aus: Weserkurier, Januar 1991, zur Ausstellung im Haus am Wasser

Die Farbe ist ein wichtiges Baumaterial

Vegesack (wel). Der Delmenhorster Künstler Siegmund Schneider stellt seine Ölbilder und Zeichnungen im Haus am Wasser an der Weserpromenade 2 aus. Die in Zusammenarbeit mit der Kommunalen Galerie Bremen organisierte Ausstellung trägt den Titel „Archipittura". Sie wird am Mittwoch, 23. Januar um 19 Uhr eröffnet und ist in Vegesack bis zum 3. März zu sehen.Schneider, Jahrgang 1953, der nach der Schule zunächst eine Fernmeldeausbildung absolvierte, danach zehn Jahre als Handwerker und Techniker gearbeitet und sich erst relativ spät zu einem Studium entschlossen hatte — er studierte von 1981 bis 1986 an der Hochschule für Kunst und Musik bei Professor Jürgen Waller — ist in der Hansestadt kein ganz Unbekannter mehr.
In Bremen stellte er im Rahmen des „Kunstfrühlings 1985" aus, zeigte eigene Arbeiten im Cafe Grün (1986) und in der Weserburg. Im Rahmen von Gruppenausstellungen war er bereits vertreten in Düsseldorf, Bonn und Delmenhorst. Beim Kunstverein Ganderkesee wird Siegmund Schneider im April eine weitere Ausstellung haben.
„Archipittura" — Architekturmalerei — hat Schneider seine Ausstellung in Vegesack überschrieben, und es sind durchaus ungewöhnliche Architekturbilder, die er da zeigt. Seine großformatigen Arbeiten lassen an Entwürfe von Frank Lloyd Wright denken, an Mies van der Rohe und Le Corbusier, an die vom Futurismus geprägte Pläne von Mario Chiattone und an Bebauungsschemata wie sie van Festeren und Pineau für die Verkehrsstadt der 20er Jahre entworfen haben. Hinweise auf die klassische Moderne gibt es und auf die durch und durch menschenfeindliche. Denkmalsarchitektur des Faschismus.
Irgendwie bedrohlich sieht diese „Architektur" aus. Menschen sind nicht zu sehen auf diesen Bildern, aber man ahnt, daß sie sich winzig ausnehmen würden im Vergleich zu den Bauten. Die freilich, sieht man nur genauer hin, sind im Grunde gar nicht zu nutzen oder zu bewohnen.
Da wird weder eine Architektur gezeigt. die es gab oder gibt, und auch keine, die es geben sollte. Da spielt der Künstler mit einem bekannten Formenkanon und setzt aus Einzelteilen ein Neues zusammen. Das scheinbar Gegenständliche verliert seine Eindeutigkeit und wird integriert in eine im Grunde ungegenständliche Malerei, auch wenn durch Bäume am vorderen Bildrand, Buschreihen an „Horizont“ oder quasiarchitektonische Rahmungen eine sich im Raum entfaltende Architektur suggeriert wird.
Wichtigstes „Baumaterial" der Schneiderschen Archipittura ist freilich die Farbe. Mal ist es ein Grün und ein Blau, das den Gesamteindruck prägt, mal ein Rot und ein Grün. mal ein Dreiklang aus Gelb, Rot und Blau, der Volumina bildet und im gleichen Atemzug wieder auf die Zweidimensionalität der Malerei verweist.— Von nicht zu unterschätzendem Reiz sind übrigens die kleinformatigen farbigen Zeichnungen auf schwarzem Papier, die der Künstler in Ergänzung zu seinem Ölbildern im Vegesacker Haus am Wasser zeigt. Sie bestätigen ebenso wie Schneiders großformatige Arbeiten, daß hier jemand seine ganz eigene, unverwechselbare Handschrift gefunden hat.

Eröffnungsrede zur Ausstellung im Haus am Wasser

Autor: Hajo Antpöhler

Als ich dreizehn Jahre alt war, hatte ich in der Stadtbibliothek Delmenhorst sämtliche Bücher über Architektur durch, erzählt Siegmund Schneider. Zwanzig Jahre später macht er Architektur, moderne Architektur, zum fast ausschließlichen Motiv seiner Malerei.
Der Malerei voraus gehen unzählige Skizzen von Bauten, keine Architektenskizzen, sondern Zeichnungen nach bestehenden Bauten, oft berühmten Werken der Architektur-geschichte, oder eigene „Erfindungen“, genauer: Zusammensetzungen aus Bauteilen und Stilelementen moderner Architektur.
Die Skizzen entstehen nicht als Vorplanung eines bestimmten Bildes. Der Anstoß, ein Bild zu malen, geht von der Lust auf Farbe aus, der Lust auf einen bestimmten Klang, den Schneider untersuchen und entwickeln möchte. Von der Farbe ist Schneider, wie man sieht, genauso besessen wie von der Architektur.
Was Schneider jeweils mit Farbe vorhat, instinktiv, vom Gefühl her und von der Lust, das steuert ihn beim Blättern in seinen Skizzen, bis er ein Stück Architektur findet, das formales Gerüst werden kann für die angestrebte Farbinszenierung•
Wenn in Schneiders Bildern die Farbe, die leuchtende Farbe zumeist oder der aggressive Farbkontrast, die Außenwände der Architektur besetzt, abstrahiert sie die Architektur. Denn moderne Architektur ist nicht farbig, Schneiders Bild von ihr aber sehr.
Schneider abstrahiert noch weiter: seine Gebäude haben weder Fenster noch Türen, kein Fensterraster stört die aufragende Monumentalität der Farbflächen; Menschen kommen auf den Bildern auch nur ausnahmsweise vor, die Umgebung der Bauten wirkt plan oder wie auf einer Reißbrett Zeichnung. Würde man die schmalen Himmel- und Erdbodenzonen abdecken, sähe man auf ein ungegenständliches Bild geometrischer Farbflächen, das Räumlichkeit nur durch die Ausstrahlung der Farbwerte bekäme.
Schneider stellt Untersuchungen zur Farbe an, die andere Maler in rein ungegenständlicher Malerei vortragen. Schneider malt nicht bedingungslos ungegenständlich. Ich denke gegenständlich, sagt er. Außerdem ist da sein Interesse an Architektur. Schneider bindet seine Malerei an die Bedingung des Gegenstandes und nimmt sich dem Gegenstand gegenüber die Freiheit zur Abstraktion. Er verbindet Gegenständliches und Ungegenständliches in einem Bild.
Schneider abstrahiert auch die Umgebung der Architektur im Bild; Beispiel: der grüne Himmel als Gegensatz zum Rot der Architektur im Bild „Ministerium“. Noch deutlicher sind die Fälle, in denen Schneider Bäume oder Gebüsch zu Füßen der Gebäude malt: da schmiert er die Farbe dick und fast gestaltlos aufs Bild. Wir können sie zwar als Gebüsch lesen, aber wichtiger ist, daß hier noch eine andere Malweise ins Bild kommt als für die geometrischen Farbflächen, deren malerische Behandlung ja auch schon differiert.
Schneider zitiert und addiert Malweisen in einem Bild;
das ist ein Vorgehen, das mit reiner, malereibezogener Malerei zu tun hat, bei Schneider aber doch gegenständliche Lesbarkeit erlaubt.
Die Arbeit mit verschiedenen Malweisen und Stilen wird be-sonders deutlich im „Fassadenmann“, dem gründerzeitlichen Stuck-Giganten. Das Bild zeigt, wovor einst die Avantgarde in die Moderne geflüchtet ist und wohin die Transavantgarde sich heute zurückträumt. Das Bild fällt aus der Gleichartigkeit der übrigen ausgestellten Arbeiten heraus, und das soll es auch. In unverschämter Weise geht Schneider in Distanz zu seinem eigenen Stil und sagt: Ich kann auch anders, Dogmen schmecken mir nicht. Die Kunstgeschichte mit ihrer Form- und Stilvielfalt sollte nicht Verbotstafeln aufstellen, sondern Angebote machen, die man wie Werkzeuge, einmal erfunden und dann bereitliegend zu allgemeinem Gebrauch, benutzen kann.
Farbe und Form der Bilder begünstigen bei aller Kühle und geometrischen Klarheit eine expressive Wirkung. Die Farbe ist für Schneider sowieso mit Emotion besetzt. Wenn er, wie in „Ministerium“, gleiche Formteile in perspektivischer Schrägstellung malt, so daß sie von links nach rechts scheinbar wachsen, entstehen dynamische Diagonalen, und ein gleichbleibender Beat bekommt einen mitreißenden Drive.
Ein Bild trägt im Untertitel den Namen eines englischen Volksliedes. Ich kenne das Lied nicht, will es auch nicht kennen, um nicht interpretieren zu müssen. Ich erwähne es, weil es zeigt, daß Assoziatives, emotionales in der farblichen und formalen Klarheit der Bilder eingefangen ist, das sich bei längerem Umgang mit ihnen deutlicher erschließen wird.
Die gemalte Archiktur hat fast immer gewaltige Dimensionen. Sie wird stets von unten gesehen, der Mensch wird klein vor ihr, wird klein gemacht von ihr. Die überdimensionalen Bauten sind Ausdruck von Macht, die ihr menschliches Gegenüber einschüchtern soll.
Die Bauwerke können begeistern. Hoch aufragende Doppeltürme, die geradezu abheben in einen wie auch immer gefärbten Himmel hinein, können mitreißen, können Ausdruck eines gehobenen oder abhebenden Lebensgefühls sein.
Aber es kommt beim Ansehen der Bilder der Augenblick, in dem die Begeisterung nicht mehr vorbehaltlos gelingt. Die Architektur der Größe und der Macht wirkt unheimlich, bedrückend, drohend. Der Grad der Bedrückung ist von Bild zu Bild verschieden, ist auch abhängig vom Empfinden des einzelnen Betrachters. Für meinen Geschmack ist das Unheimliche am deutlichsten greifbar in dem dunkelgrünen Bild (im Atelierraum), bei dem ausnahmsweise ein Titel, „Wachtturm“, in die entsprechende Richtung weist. Am ändern Ende der Skala gibt es Bilder, die hinter Schönheit und Harmonie ihre Tücke verbergen.
Schneider möchte keine Bilder liefern, die einseitig verherrlichen, und keine Bilder, die allzu offensichtlich nur kritisch sind. Er will nicht den Weltausschnitt, den er malt, so einfach, so vereinfachend bewerten nach Gut und Böse, Schwarz und Weiß. Die Architektur der Machtausübung und Einschüchterung hat ihre faszinierende Ästhetik. Aber die Faszination ist gebunden an das, was uns klein macht, an die Niedertracht der Macht.
Schneiders Bilder sind in Absicht und Wirkung ambivalent, doppeldeutig. Sie wollen den Betrachter zum Zweifler machen, der die Widersprüche nicht glättet, sondern mündig sich ihnen stellt.

Hajo Antpöhler

 

Atelierhof 2010

 

 

 

 

 

 

rechts: Vernisage in der Atelierhofgalerie, im Gespräch mit M. Heinz-Hoek, 2010

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